Zum Buch:
Die Partisanen kommen fast immer nachts. Sie überfallen ein Dorf, brennen es nieder, treiben die Dorfbewohner zusammen und töten sie auf grausame Weise. Die Kinder sondern sie aus und nehmen sie mit auf ihre langen Wanderungen durch das Land. Sie zwingen die Kinder zu töten, so oft, bis es für diese so selbstverständlich geworden ist wie für die Partisanen selbst. Denn auch diese sind – Kinder.
Der polnische Journalist und Schriftsteller Wojciech Jagielski ist in den Norden Ugandas gefahren – die wohl gefährlichste Region Afrikas. Ein Gebiet, in dem seit dreißig Jahren ein Bürgerkrieg tobt, zwischen immer abwechselnden Parteien. Ein Land, das in jeder Hinsicht verwüstet ist und dessen Bewohner körperlich wie seelisch verstümmelt sind. Hier kämpft die Armee des Landes gegen „Partisanen“, und wofür oder wogegen diese sind, weiß keiner. Sie nennen sich die „Lord’s Resistance Army“, ihr Anführer ist Joseph Kony, in den der Gott Lakwena eingefahren ist, der ihm seine Handlungen zur „Errichtung einer besseren Welt“ diktiert. Die Partisanen entführen Kinder und richten sie zu Kämpfern ab. Mädchen werden, wenn sie „alt genug“ sind, den Anführern zur Frau gegeben, um weitere Kinder zu gebären. Hier gibt es kein Entkommen, die Kinder können nirgends hin, denn vor ihnen fürchten sich sogar die eigenen Familien.
Manche Kinder können fliehen oder werden gefangen genommen. Wenn sie Glück haben, kommen sie in eines der Rehabilitationszentren, wo versucht wird, ihre Traumata zu behandeln und sie danach wieder in die Dörfer einzugliedern, aus denen sie kamen (wenn es die noch gibt). Jagielski hat eines dieser Zentren über längere Zeit besucht, und die Geschichten der Betreuerin Nora und dem ehemaligen Kindersoldaten Samuel stehen stellvertretend für viele.
Das Buch erzählt die wechselhafte Geschichte Ugandas mit seinen sich bekämpfenden Stämmen und Diktatoren, von denen einer den anderen ablöst, aber unter denen die Korruption und die Grausamkeiten stets die gleichen bleiben. Er beschreibt, wie die ehemals vorhandenen Strukturen (nicht, dass diese das Paradies gewesen wären) völlig zerstört wurden und damit auch die Beziehungen der Menschen untereinander jeden Halt verloren haben. Wie das Ende des Kolonialismus mit seinem ewigen „teile und herrsche“ zum Chaos geführt hat und das einzige lebendige Überbleibsel dieser Zeit der christliche Glaube ist. Aber gerade die Inbrunst dieses Glaubens macht die Menschen anfällig für die Furcht vor Geistern und für dubiose Führer.
Das alles wäre zum Verzweifeln, aber Jagielski beschreibt auch, wie schnell sich in Regionen, aus denen die Partisanen abziehen mussten und so etwas wie ein „Frieden“ eingekehrt ist, wieder ein „normales“ Leben einstellt.
„Wanderer in der Nacht“ ist ein bestürzendes Buch, das von unfasslichen Grausamkeiten erzählt, aber auch von ungebrochenen Überlebenswillen und das man lesen sollte, um ein wenig vom dem zu verstehen, was sich im tiefsten Bauch der Finsternis abspielt.
Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co., Frankfurt