Zum Buch:
Den Großteil seines schriftlichen Schaffens hat der französische Philosoph Louis Althusser der „nagenden Kritik der Mäuse“ überlassen.
Der Frankfurter Verlag Neue Deutsch-Französische Jahrbücher hat nun für die unübersetzten posthumen Schriften Althussers eigens eine neue Reihe namens Terrains ins Leben gerufen. Laut den Herausgebern soll damit nicht das mehrfach in Angriff genommene Projekt einer deutschen Werkausgabe wiederaufgenommen, sondern vielmehr „zentrale und bislang teils weniger beachtete Texte Althussers“ zugänglich gemacht und aus zeitgenössischen Perspektiven zur Diskussion gestellt werden. Bereits jetzt sind weitere vielversprechende Veröffentlichungen angekündigt: Demnächst soll das Fragment Buch über den Imperialismus und im kommenden Jahr das unabgeschlossene Buchprojekt Machiavelli und Wir erscheinen.
Eröffnet wurde die Reihe letzten Herbst mit der Veröffentlichung der Textsammlung Marx in seinen Grenzen und andere Texte. Der Haupttext Marx in seinen Grenzen liefert unbestreitbar den Schlüsseltext seiner Schaffensphase der 1970er Jahre, die sich um den Problemkreis gruppieren, den Althusser selbst als Krise des Marxismus bezeichnet hat. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht die damals scharf geführte Diskussion um den Euro-Kommunismus, die man heute für überholt halten mag, aber letztlich die Weichen für das gestellt hat, was später zum sogenannten Linkspopulismus geführt hat. Dass Althusser hingegen an der „Diktatur des Proletariats“ festhalten wollte, wirkt auf den ersten Blick wie bloße marxistische Orthodoxie oder gar Stalinismus. Schaut man jedoch genauer hin, sieht man, dass in diesen Schriften der Versuch unternommen wird, Schritte in eine ganz andere Richtung zu machen und das Problem anders zu stellen: Mangels einer marxistischen Theorie des Staates und überhaupt von Ideologie, Organisation und Politik, droht der Marxismus, Politik auf staatliche Politik zu reduzieren – sei es in Form der parlamentarischen Partei oder im sozialistischen Ein-Parteien-Staat. Dem gilt es, eine „andere Politik“ entgegenzusetzen, im Zuge derer der Klassenkampf seine Kraft von außerhalb des Staates bezieht, um ihm überhaupt erst begegnen zu können.
Aus diesem Grund ist Marx in seinen Grenzen ebenso sehr ein Buch über den Staat wie über die Politik. Denn was, laut Althusser, an der marxistischen Tradition politisch ernst genommen und in theoretische Terminologie übersetzt werden muss, ist die metaphorische Rede vom Staat als Werkzeug und genauer noch als Maschine. Und darin liegt auch der ganze Einsatz des Buchs: Erst wenn der Staat auf theoretischer Ebene als Maschine begriffen wird, kann eine Politik anvisiert werden, die nicht bloß staatlich ist. Wie das umfangreiche und aufschlussreiche Nachwort der Übersetzer zeigt, bleibt Althusser insofern unser Zeitgenosse, als er die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Politik als Problem überhaupt erst stellt.
Jonas Tesseraux, Frankfurt