Zum Buch:
Wie geht man auf die Suche nach der Vergangenheit eines Vaters, der von seinen frühen Jahren nur wenig preisgibt? Susanne Fritz hat ihrem Vater ein Leben erfunden und dabei alle Aufzeichnungen, Erinnerungen, Eigenbeobachtungen genutzt, die ihr zur Verfügung standen. Doch wie viel davon ist Projektion, Wunsch und Hoffnung, nicht zuletzt für das eigene Selbst? Ein aufrichtiger, sprachlich höchst feiner Roman, ein Vexierbild, nein, viele mögliche Vexierbilder eines Menschen, der nah war und doch so fern geblieben ist.
Heinrich – der Name ist Fiktion – hätte ein Mädchen werden sollen und träumt als Junge davon, ein Mann zu sein. Auf jeden Fall will er anders werden als sein Vater, der Müller, den sie in seiner Geburtsstadt in Polen Hoppla nennen und der seinem Sohn eine lebenslange Angst vor himmelblauen Augen einflößt, weil er betrunken die eigene Frau schlägt. Ärmliche Verhältnisse sind das, was Heinrich kennt: Er ist sechs bei der Scheidung der Eltern, sieht sich im Leben chancenlos, bis das Ritterkreuz und der gemeinsam erkämpfte Endsieg winkt.
Doch die erste Begegnung mit einem russischen, gleichaltrigen Feind, dem er in die Augen sieht, während er die Pistole nicht abdrückt, die er ihm auf die Brust gesetzt hat, macht Heinrich zum Pazifisten.
Kein Grund für seine spätere Frau, nicht jedem Tag in Angst vor dem eigenen Mann zu leben, auch wenn der ein erfolgreicher Architekt geworden ist. Ein Mann, der zu Hause die Plattensammlung in Stücke bricht, weil auf seiner Lieblingsscheibe ein Kratzer das Abspielen stört. Einer, der Liebesbriefe an seine künftige Frau schrieb. Einer, dem die Leica eine Zeit lang der beste Freund war. Einer, der fünf Jahre in Kriegsgefangenschaft in Russland schuftete, in Smolensk, vom 18. bis zum 22. Lebensjahr.
Sie leben in uns fort, die Väter und Mütter: „Wir sind so geworden, wie sie zu uns waren …“. Die Erzählerin in der Rolle der Tochter bleibt stets präsent in diesem Roman, der die Ängste, das Aufwachsen, die Beziehung der Kinder zu den Eltern spiegelt. Fein markierte Brüche finden sich bereits in den Überschriften mancher Kapitel: „Heim.Weh“, „Hand.Schrift“, „Chancen.Gleichheit“ – die Odyssee im Leben des Vater hätte auch mit „Schlag.Lichter“ überschrieben sein können. Jede und jeder von uns findet einen Teil seiner Familiengeschichte wieder in diesem vorsichtig tastenden Vaterroman.
Susanne Rikl, München