Zum Buch:
In Über Liebe und Magie, seinem vorherigen Buch, verknüpfte der schottische Schriftsteller und Lyriker John Burnside Erinnerungen an seine Mutter und seine Jugend mit Reflexionen über Musik, Kino und der oft dunklen Magie der Liebe. Jetzt ist im Haymon Verlag ein neuer Text von ihm erschienen, der den stetigen Strom von Gedanken und Erinnerungen fortführt. What light there is ist in vier Abschnitte gegliedert: Erde, Himmel (über das Verlieren), Die Sterbenden und Die Göttlichen. Sie sind durchzogen von den leitmotivisch immer wieder auftretenden Themen Vergänglichkeit, Leere, Sterben und Tod, dem Zauber des Unwiederbringlichen und der Kostbarkeit eines bewusst wahrgenommenen Augenblicks.
Burnside ist niemand, der die Augen vor der Schäbigkeit der Welt des armen Bergarbeiterstädtchens und des schwierigen Elternhauses, in dem er aufwuchs, verschließt. Der Schmerz und auch die Wut darüber, was in unserer lauten, hektischen und durch und durch kommerzialisierten Welt in immer größerer Schnelligkeit verschwindet, durchzieht das gesamte Buch. Aber anstatt selbst abzustumpfen, scheint in ihm eine Sehnsucht und eine geschärfte Wahrnehmung für Stille und Weite gewachsen zu sein: für die Schönheit des Moments, aber auch für die Erfahrungen des Verpassten, des zu schnell Vergangenen. Burnside hat die Fähigkeit, in scheinbar zufälligen Dingen und Geschehnissen Zusammenhänge und Beziehungen zu sehen und zu überraschenden Deutungen zu verknüpfen. Seine Faszination für den Winter, dessen Kälte und Eis, wird zum Auslöser seiner Assoziation zu zwei Gemälden. Er stellt Berichten über die Londoner Frostmärkte mit ihren “Verkaufshütten und Saufbuden”, die auf der zugefrorenen Themse entstanden, die Schlittschuh-Bilder von Brueghel und Avercamp entgegen, die für ihn ein Beispiel für die zeitweilige schranken- und klassenlose Freiheit in einem Ausnahmeraum darstellen. Sein Fazit: “Die einen nutzten das gefrorene Eis als Gelegenheit für den Handel und für die Ausübung sozialer Privilegien, die anderen als improvisierten Raum für imaginiertes Spiel.”
What light there is ist ein grenzgängerischer Text, oszillierend zwischen Helligkeit und Schwärze, voller Wissen um Abgründe, aber auch um eine lichte Gegenwärtigkeit und den Schmerz um die Flüchtigkeit solcher Augenblicke. Diese Momente werden im Lauf der Zeit zunehmend wertvoller, weil sie nie wieder einzuholen sind – wie ein Ballon, der einer Kinderhand entgleitet, wie ein Blickwechsel im Vorübergehen oder die Hand, die nur kurz in unserer bleibt. Dem nachspürend wird das alles durchdringende Leitmotiv der Ars Morienda, des symbolischen wie des realen Sterbens, zum tröstlichen Fluchtpunkt aus den Zumutungen des Alltags. What light there is ist ein Buch der Abschiede; das einzig Erstrebenswerte liegt im Wissen, nichts halten zu können.
Dass dieser Text nie in Melancholie oder Trübsal abgleitet, liegt an Burnsides wunderbar luziden und sinnlichen Sprache, die zu lesen eine einzige Freude ist.
Ruth Roebke, Bochum