Detail

Drucken

Wie lange, sag mir, ist der Zug schon fort

Autor
Baldwin, James

Wie lange, sag mir, ist der Zug schon fort

Untertitel
Roman. Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell und Miriam Mandelkow
Beschreibung

Nach einem Herzinfarkt auf offener Bühne denkt der mittlerweile berühmte schwarze Schauspieler Leo Proudhammer im Krankenhaus über sein Leben nach, von seiner Jugend im Harlem der 1930er und 40er Jahre über die Versuche, in den frühen 50ern als schwarzer Schauspieler Fuß zu fassen, bis zu seinem Durchbruch und seinem Erfolg. Im Mittelpunkt dieser Rückblenden stehen dabei die Beziehungen des jetzt 40jährigen: zu seinen Eltern und dem geliebten älteren Bruder Caleb, zu seiner weißen Freundin, Geliebten und Kollegin Barbara und schließlich zu seiner letzten großen Liebe, dem jungen Bürgerrechtsaktivisten Christopher.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
dtv Verlagsgesellschaft, 2024
Seiten
672
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-423-28402-8
Preis
28,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

James Baldwin, 1924 geboren, ist einer der bedeutendsten US-amerikanischen Schriftsteller. Sein bereits zu Lebzeiten vielfach ausgezeichnetes Werk umfasst Essays, Romane, Erzählungen, Gedichte und Theaterstücke. Er starb 1987 in Südfrankreich.

Zum Buch:

Nach einem Herzinfarkt auf offener Bühne denkt der mittlerweile berühmte schwarze Schauspieler Leo Proudhammer im Krankenhaus über sein Leben nach, von seiner Jugend im Harlem der 1930er und 40er Jahre über die Versuche, in den frühen 50ern als schwarzer Schauspieler Fuß zu fassen, bis zu seinem Durchbruch und seinem Erfolg. Im Mittelpunkt dieser Rückblenden stehen dabei die Beziehungen des jetzt 40jährigen: zu seinen Eltern und dem geliebten älteren Bruder Caleb, zu seiner weißen Freundin, Geliebten und Kollegin Barbara und schließlich zu seiner letzten großen Liebe, dem jungen Bürgerrechtsaktivisten Christopher.

Unmittelbar und schonungslos konfrontiert Baldwin die LeserInnen mit der Geschichte des weißen Rassismus in den USA und mit seiner unbarmherzigen, institutionalisierten Gewalt, die das einzige Ziel zu haben scheint, schwarzen Menschen die Würde und Selbstachtung zu nehmen, die doch in der Verfassung verankert ist. Diese Gewalt macht aus dem Vater, der – wie er sagt – auf seiner karibischen Heimatinsel ein Prinz war, bevor er auf der Suche nach Arbeit in die USA gekommen ist, einen hilflosen Säufer und aus dem stolzen, schönen Bruder Caleb nach einem ungerechtfertigten langjährigen Gefängnisaufenthalt ein psychisches Wrack. Allein Leo, der jüngste, findet die Kraft, überhaupt etwas zu wünschen, und hält an seinem Traum, Schauspieler zu werden, eisern fest, so unrealistisch das für einen Schwarzen Ende der vierziger/Anfang der fünfziger Jahre auch sein mochte.

Diese Kraft stammt aus seinen Beziehungen: zu seiner Mutter, zu Caleb, und später zu Barbara, der weißen Südstaatenschönheit, die ihrer reichen Familie den Rücken gekehrt hat und die Verhältnisse mit klarem Blick durchschaut. Sie finden sich bei einem Theaterprojekt in einer Kleinstadt, wo sie, wie die ganze Truppe, viel Aufsehen und Hass erregen, wenn sie händchenhaltend durch die Straßen ziehen. Leo weiß, dass er Barbara liebt, und er weiß, dass sie ihn liebt, und spürt dennoch eine tiefreichende Distanz, Schuldgefühle, Ängste, die wirkliche Nähe unmöglich machen. Trotzdem ist diese Liebe auf Dauer, allen äußeren und inneren Schwierigkeiten zum Trotz, und entwickelt sich zu einer tiefen Freundschaft. Erst Jahre später, als Christopher ins Spiel kommt, erkennt Leo, wie sehr er sich sein Leben lang vor der Liebe und seiner Homosexualität gefürchtet hatte: „Die Welt war nicht mein Problem. Ich war mein Problem. Etwas war mit mir geschehen, und ich musste erkennen, mit welch unnachgiebiger Durchtriebenheit ich mich bisher davor geschützt hatte. Musste in mir ein riesiges Tabu erahnen, für das Sex vielleicht ein Symbol war, aber nicht der Schlüssel.“

Baldwin lässt in diesem Roman seinem Zorn über die weiße amerikanische Gesellschaft freien Lauf, reißt ihr schonungslos die Maske vom Gesicht und entblößt ihre dahinter liegende kalte Leere. Dem gegenüber stehen herzzerreißend zärtliche Passagen, in denen die Möglichkeit einer anderen, besseren Gesellschaft aufscheint – wenn wir sie denn nur zuließen. Wie lange, sag mir, ist der Zug schon fort ist ein großartiger Roman, leider immer noch so aktuell wie bei seinem Erscheinen 1968. Die Lektüre verändert den Blick auf die Welt, macht trotz allem aber auch Hoffnung. Unbedingt zu empfehlen!

Irmgard Hölscher, Frankfurt a.M.