Zum Buch:
Patrick Deville, laut Verlagsangabe „Reisender mit dem Esprit des Kosmopoliten, Schriftsteller, Chronist und literarischer Kartograf“, von dem, wenn ich recht informiert sind, mittlerweile 8 Bücher auf deutsch vorliegen, ist eine Ausnahmeerscheinung in der heutigen literarischen Welt und hierzulande immer noch viel zu wenig bekannt. Seine Bücher über seine fast schon weltumspannenden Reisen lassen sich schwer einordnen – man könnte sie als Abenteuerromane für Erwachsene, als historische Romane mit außergewöhnlichen Perspektiven, als welten- und zeitenumfassende Geschichten beschreiben, voller überraschender Verbindungen und Einblicke. Und schon die Gattungsbezeichnung „Roman“ ist irreführend – hier ist wenig fiktiv, und wenn, dann ist es als solches gekennzeichnet. Auch „Reiseliteratur“ trifft es nicht ganz, denn Ausgangspunkt sind weniger Länder als die realen Menschen darin, lebende wie tote. Für mich ist die vielleicht treffendste Einordnung „Abenteuerroman“, nicht wegen der – gewiss nicht knappen – Abenteuer, die hier geschildert werden, sondern weil die Lektüre selbst zum oft schwindelerregenden Abenteuer wird.
Aber jetzt zu Samsara. Lassen wir am besten den Autor selbst sagen, worum es geht, wenn er einem Zufallsbekanntem am Ende des Buches erklärt, er „schriebe über ein bewegtes Leben, das eines Inders, der sich im Ersten Weltkrieg auf die Seite der Deutschen geschlagen habe, einmal um die Welt gereist sei, den größten Teil seines Lebens in Mexiko verbracht habe, bevor er zum Sterben in die Stadt zurückgekehrt sei, in der er aufgewachsen war.“ Dieser Mann ist Pandurang Khankhoje, der sich nach einer Weltumfahrung auf einem Handelsschiff in den USA der Ghadar-Bewegung anschloss, die von überwiegend im Ausland lebenden Indern begründet wurde und die britische Herrschaft in Indien – gewaltsam – stürzen wollte, der sich danach an Aufständen gegen die Briten in anderen Kolonien beteiligte, mehrfach fliehen musste und unter zahlreichen Namen lebte, vor allem in Mexiko, wo er sein in den USA absolviertes Landwirtschaftsstudium anwandte, um neue Maissorten zu züchten und die Landwirtschaft zu industrialisieren. So kam er u.a. in Kontakt mit der Gruppe um Diego Rivieras und Frida Kahlo und all den exilierten Revolutionären aus aller Herren Länder, die dort Asyl fanden. All diesen Spuren geht der Autor nach, reist in die entsprechenden Länder, nimmt, soweit möglich, Kontakt zu noch lebenden Bekannten und Verwandten Pandurangs auf, und durchforstet die Archive. Sein Ziel: „das Leben Pandurangs parallel zu dem seiner berühmten Zeitgenossen Mohandas Ghandi und Jawaharlal Nehru, Rabindranath Tagore und Chandra Bose zu erzählen.“ Aber das sind nur einige der vielen Menschen, deren Geschichte und Lebensläufe uns Deville vor Augen führt, so kenntnisreich und spannend, dass die Lektüre trotz der vielen Sprünge über Kontinente, Länder und Zeiten hinweg zu einem wahren Abenteuer wird. Der Autor führt mit viel Geschick, Wissen und nicht zuletzt auch Humor die Lesenden durch das Labyrinth der (Kolonial- und Revolutions-) Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und das in einem (glänzend übersetzten) Stil, der jedem literarisch auch nur etwas Gebildetem ein reiner Genuss ist.
Lassen Sie sich auf das Abenteuer ein. Es führt, wie jedes Abenteuer, zu neuem Wissen, neuen Einsichten und eröffnet viele neue Horizonte, bereichert, beglückt – und weckt alte Sehnsüchte.
Irmgard Hölscher, Frankfurt a.M.