Zum Buch:
“Empört Euch!”, “Indignez-vous!”: Wer ist der 94-Jährige, dessen Streitschrift 2010 einen unvergleichlichen Siegeszug um die Welt angetreten hat? Manfred Flügge, der seit Jahrzehnten mit Stéphane Hessel und seinem Bruder Ulrich in Kontakt steht, hat ein Porträt dieses außergewöhnlichen Menschen gezeichnet. Aber damit nicht genug. Sein Buch ist auch ein Zeugnis der großen Achtung, die Flügge Hessel entgegenbringt, und ein Zeugnis ihrer Freundschaft.
Dank der gesellschaftlichen Stellung seiner Eltern wird Stéphane Hessel 1917 in Berlin in die internationale intellektuelle und künstlerische Elite des frühen 20. Jahrhunderts hinein geboren und ist schon als Kind ein Kosmopolit. Die Beziehung seiner Eltern zu dem Pariser Autor Henri-Pierre Roché wurde von diesem in dem 1955 publizierten Roman “Jules et Jim” literarisch verarbeitet und 1962 von Truffaut erfolgreich verfilmt. Im Zweiten Weltkrieg schließt sich Hessel, der als Deutscher in Paris aufwächst, der Résistance an. Er wird verraten, am 10. Juli 1944 in Paris verhaftet und am 8. August nach Buchenwald deportiert. Sein Überleben im KZ verdankt er einer auf den 20.10.1944 datierten „offiziellen“ Sterbeurkunde. Damit wird ihm an seinem Geburtstag zum dritten Mal das Leben geschenkt, denn schon am 20.10.1925 überlebte er wie durch ein Wunder einen schweren Unfall auf dem Boulevard Saint-Michel. Hessel ist ein Glückskind, er sagt aber auch: “Man muss das Leben wünschen.” Oder, wie Goethe es in einem Gedicht formuliert hat: “allen Gewalten zum Trutz sich erhalten”.
Die Poesie spielt eine große Rolle in Hessels Leben. Mit ihr sind Zauber und Eros, ist seine Liebe zu Paris verbunden. Poesie ist ihm Brücke zwischen Schönheit und Tod. Im Krieg dient sie ihm als Kodierungsbasis, Gedächtnisstütze und als Beweis seiner Widerstandskraft.
Seine diplomatische Karriere als Vertreter der UNO und französischer Botschafter, in der er sich stets auf die Seite der sympathischen Verlierer schlug, findet 1975 mit seiner Rolle als offizieller – und gescheiterter – Vermittler in der Affaire Claustre ein vorläufiges Ende. Vorläufig in der Tat, denn mit “Indignez-vous!” wagt es Hessel, den Geist der Résistance wieder zu beleben und gegen den Rausch des Immer-mehr, gegen die uneingeschränkte Herrschaft der Finanzwelt zu protestieren und für seinen Traum von einer weltweiten Zivilgesellschaft einzutreten. Wer Hessel ist? “Ein alter Diplomat, der Sprachen liebt.”
Susanne Rikl, München