Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Maalouf, Amin

Die Verunsicherten

Untertitel
Roman. Aus dem Französischen von Lis Künzli
Beschreibung

Als der Althistoriker Adam in Paris mitten in der Nacht die telefonische Mitteilung bekommt, dass sein Jugendfreund Murad im Sterben liegt, wird ihm klar, dass er jetzt tun muss, was er seit über 25 Jahren vermieden hat: er muss zurück in den Libanon, den er kurz nach Ausbruch des Krieges Anfang der 70er Jahre verlassen hat. Nun zwingt ihn der Wunsch des ehemaligen Freundes, den er nie mehr wiedersehen wollte, zurück in die Heimat und damit in die Erinnerung an seine Jugend.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Arche Verlag, 2014
Format
Gebunden
Seiten
544 Seiten
ISBN/EAN
978-3-7160-2702-8
Preis
26,95 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Amin Maalouf, 1949 im Libanon geboren, lebt seit 1976 in Frankreich und zählt zu den anerkannten Experten für Fragen der arabischen Welt. Er war u. a. Chefredakteur der Wochenzeitschrift An Nahar International, und während des Vietnamkriegs und der Islamischen Revolution arbeitete er als Kriegsberichterstatter. Seine Bücher werden in 37 Sprachen übersetzt, 1993 erhielt er für Der Felsen des Tanios den Prix Goncourt. Amin Maalouf ist Mitglied der Académie française.

Zum Buch:

Als der Althistoriker Adam in Paris mitten in der Nacht die telefonische Mitteilung bekommt, dass sein Jugendfreund Murad im Sterben liegt, wird ihm klar, dass er jetzt tun muss, was er seit über 25 Jahren vermieden hat: er muss zurück in den Libanon, den er kurz nach Ausbruch des Krieges Anfang der 70er Jahre verlassen hat. Nun zwingt ihn der Wunsch des ehemaligen Freundes, den er nie mehr wiedersehen wollte, zurück in die Heimat und damit in die Erinnerung an seine Jugend. Als er am nächsten Tag in der Levante ankommt, ist Murad tot. Zur Beerdigung will er nicht gehen, aber er will Murads Frau wiedersehen und deshalb warten, bis die unmittelbare Trauerzeit abgelaufen ist. Also quartiert er sich auf dem Land bei Semiramis ein, die ebenfalls zu seinem Freundeskreis gehörte und mittlerweile ein Hotel führt. Sechzehn Tage bleibt er, und die Ereignisse dieser Tage, seine Erinnerungen und Reflexionen hält er in seinem Tagebuch fest.

Wir erfahren von der Gruppe von Freunden, die sich teils aus der Schulzeit und teils aus dem Studium kannten und deren Mittelpunkt Murad war. Für die Jugendlichen aus muslimischen, jüdischen und christlichen Familien waren die frühen siebziger Jahre eine Zeit des Aufbruchs, der sexuellen Befreiung, der politischen und gesellschaftlichen Ideologien und Träume, der Säkularisierung und der Toleranz. Der Krieg trifft sie unvorbereitet und zerstreut sie in alle Winde, von Frankreich bis in die USA und nach Australien. Die Zurückgebliebenen kämpfen oder passen sich an, wie Murad, der zu den Kriegsgewinnlern gehörte und von seinen ehemaligen Freunden dafür verachtet wird. Jetzt wird er für Adam zum Anlass, die alten Freunde noch einmal zusammenzubringen. Was ist aus ihnen und ihren Träumen geworden? Wer sind sie heute?

Amin Maalouf erzählt weniger vom realen Libanon Anfang des 21. Jahrhunderts. Vielmehr nimmt er uns mit aufs Land, in die Provinz, zu den unzerstörten Inseln der Schönheit und des Friedens, die es dort noch gibt. Mit großer Ruhe, unendlicher Zärtlichkeit und tiefer Trauer lässt er eine Landschaft und eine Kultur wiedererstehen, die durch den Einbruch der Gewalt unwiderruflich zerstört wurden. Was bleibt, sind Seelenlandschaften, die vor der Realität kapitulieren müssen. So wird die Levante zum Symbol für das Scheitern nicht nur der Freundesgruppe an der Gewalt, denn wie es in dem vorangestellten Zitat von Simone Weil heißt: „Alles, was mit Gewalt in Berührung kommt, wird erniedrigt, welcher Art auch immer die Berührung ist.“ Am Ende bleibt vielleicht gar keine, vielleicht aber auch ein kleiner Schimmer Hoffnung, ein Leben „auf Bewährung“ für die Protagonisten – und für uns.

Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main