Zum Buch:
Siebenbürgen – mal zu Ungarn gehörend, mal zum Habsburger Reich und nach dem ersten Weltkrieg Rumänien zugeschlagen. Seit Jahrhunderten von den „Siebenbürger Sachsen“ bewohnt, die sich, aus den unterschiedlichsten deutschen Regionen stammend, in Wellen dort angesiedelt hatten. Als Protestanten mit einem hohen Arbeitsethos und sparsamer Lebensführung blieben sie den sie umgebenden Volksgruppen fremd und schotteten sich ab. Stolz auf die eigenen handwerklichen und bäuerlichen Fähigkeiten, fühlten sie sich von der Außenwelt stets in ihrer Eigenart bedroht und ließen niemanden in ihre abgeschlossene Welt hinein. 1941, nach einer „Rumänisierungskampagne“, stehen sie vor der Entscheidung: Sollen sie sich als „Rumäniendeutsche“ der Mehrheitsbevölkerung anschließen oder sich als „Volksdeutsche“ „heim ins Reich“ holen lassen?
Das ist der Hintergrund für die Handlung von Ursula Ackrills großartigem Romandebüt. Nur wenige Hauptpersonen – fiktive und reale – und ihre Beziehungen untereinander reichen der Autorin, um ein ganzes Zeitpanorama abzubilden. Die streitlustige und belesene grauhaarige Leontine Philippi, zählt zu den Honorationen des kleinen Ortes Zeiden. Sie schreibt an der Stadtchronik, die sie aber niemandem zeigt. Die Begeisterung ihrer Landsleute für das Hitlerregime teilt sie nicht und wird damit zur Außenseiterin. Mit ihrem lebenslangen Freund Franz Herfurth hat sie sich entzweit, seit dieser jungen Männern zum Eintritt in die Waffen-SS verhelfen will, die sich so der Einberufung in die Rumänische Armee entziehen. Ihr Ziehkind Maria, eine junge Rumänin, die der Vater zu Leontine gebracht hat, damit sie Deutsch lernt, entwickelt großes Geschick beim Handel mit den Gegenständen, die sie von Juden gekauft hat, die das Land auf schnellstem Weg verlassen wollen. Weiter sind da die Apothekerin Edith, Josef, dessen Stigmatisierung als „Dorftrottel“ ihm gefährlich werden kann, Andreas Schmidt, Volksgruppenführer der Deutschen Volksgruppe in Rumänien, Fritz Klein, Arzt und glühender NS-Anhänger. Und der aus kleinen Verhältnissen stammende Albert Ziegler mit seiner großen Begabung für Maschinen und fürs Fliegen, der seit einiger Zeit verschollen ist.
Die Erzählung umkreist den 21. Januar 1941. In Rückblenden, Haupt und Nebensträngen steuert sie auf den Abend zu, an dem im Zeidener Rathaus eine Bürgerversammlung stattfindet, bei der die Anhänger des NS-Regimes für den Anschluss ans Deutsche Reich werben. In einem Nebenraum untersuchen Herfurth und Klein junge Männer auf ihre Tauglichkeit für die Waffen-SS.In Bukarest putschen derweil faschistische Legionäre gegen den Diktator Antonescu und ermorden die jüdische Bevölkerung. Am Ende wird Leontine sich entscheiden müssen, ob sie ihre Jugendliebe verraten oder das Land verlassen will.
Durch den Text führt eine Erzählstimme, die zwischen auktorialer Allwissenheit und personalem Dabeisein wechselt. Sie springt in Zeiten und Orte, von Person zu Person. So entsteht ein Mosaik aus Geschichten und Personen, Geschichte und Orten, aus dem nach und nach ein Bild der gesellschaftlichen und politischen Zustände im Januar 1941 entsteht.
Leicht zu lesen ist „Zeiden im Januar“ nicht. Man muss sich in diesen fortlaufenden Erzählstrom regelrecht hineinarbeiten. Aber wer dabei bleibt, wird immer tiefer in eine Welt hineingezogen, die es so nicht mehr gibt. Ursula Ackrill verfügt über einen schier unerschöpflichen sprachlichen Reichtum. Aus der Zeit gefallene Redewendungen und Ausdrücke verbinden sich nahtlos mit heutiger Sprache und vermischen sich zu einem suggestiven Klang. Nicht altmodisch, nicht heutig, sondern ganz eigen. Ackrill versucht nicht, durch eine altertümliche Ausdrucksweise vergangene Zeiten wieder auferstehen zu lassen. Ihr scharfsinniger Blick, ihre manchmal schnoddrige Redeweise hindern den Leser daran, sich nostalgisch in dem Text einzurichten. Dazu kommt, dass letztlich keine der erzählten Personen wirklich sympathisch ist und zur Identifikation einlädt. Dafür aber fesseln sie den Leser, und je weiter die Handlung fortschreitet, umso gebannter folgt man dem Dilemma, in dem die Figuren genauso stecken wie die gesamte Volksgruppe.
Dass ein unverlangt beim Verlag eingesandtes Manuskript angenommen wird, spricht für ein sorgfältiges Lektorat. Dass eine Jury das Buch auf die Shortlist für den Leipziger Buchpreis gesetzt hat, zeigt, dass sie Formwillen und Kompromisslosigkeit einer Debütantin honoriert. Da ist es gar nicht mehr wichtig, ob Ursula Ackrill den Preis auch erhält. Gewonnen hat sie auf jeden Fall.
Ruth Roebke, autorenbuchhandlungmarx&co, Frankfurt