Zum Buch:
Serhij Zhadans Hymne der demokratischen Jugend ist, anders als Beethovens Hymne an die Freude keine Hymne an die Jugend, hier wird keine aus dem zerfallenen Sowjetreich erstandene Jugend besungen, vielmehr besingt die Jugend selbst ihre neuen Götter: die freie Marktwirtschaft und die freie Liebe. Aber der Gesang ist weder besonders wohlklingend noch ist an ein irgendwie geartetes Elysium zu denken. Es ist eher ein Martyrium, das die Götter mit kaum verhohlener Freude aus sicherer Distanz beobachten.
Wir befinden uns in den Nullerjahren des 21. Jahrhunderts, die in den sechs Erzählungen porträtierte Jugend ist zwischen 20 und 30, von Kriegen innerlich und äußerlich zerfetzt. Freie Marktwirtschaft heißt vor allem: Wo könnte es eine Marktlücke geben, und wer schmiert wem am besten. Freie Liebe heißt: Keine festen Beziehungen, Orientierungs- und Verantwortungslosigkeit. Jeder will zu schnellem Geld kommen, wobei das gleichbedeutend ist mit dem schieren Überleben, und ob man dabei nun einen Schwulenklub (klar, den ersten der Stadt: siehe Marktlücke) namens Butterbrot-Bar gründet oder ein Krematorium betreibt (auch hier: Marktlücke, denn es gibt nur ein einziges, dazu noch staatliches), ist einerlei, Hauptsache, man hat die Idee, einen irgendwie gearteten Businessplan und den richtigen Werbetext dazu: „In einer malerischen Ecke in Charkiw, im Neubaugebiet, zwischen steil aufragenden Bauten, hat sich das Büro ritueller Dienstleistungen ‚Oschwanz und Söhne‘ niedergelassen. … Unser Unternehmen bietet preiswerte Grundstücke in einer der malerischsten Gegenden unserer Region, rituelle Accessoires zu Dumpingpreisen, Beförderung im Kraftwagen sowie Dienste von professionellen rituellen Mitarbeiterinnen, Geistlichen und Tamadas. … Wenn schon begraben, dann nur mit uns!“
Zhadan vermag von all den Missständen seines Landes und seiner Jugend, von den individuellen und gesellschaftlichen Krisen äußerst unterhaltsam und zugleich aufklärend zu erzählen, äußerst zynisch und gleichzeitig voller Liebe für seine Antihelden, die weder politisch korrekt noch durchweg sympathisch sind, und beim Lesen der Hymne der demokratischen Jugend bleibt einem das Lachen im Halse stecken, aber man weiß auch: Er gilt zurecht als eine der wichtigsten Stimmen ukrainischer Literatur, von dem hoffentlich noch viel zu lesen sein wird.
Es heißt, er harre noch immer in Charkiw aus, er poste Bilder der zerstörten Stadt auf Facebook, es heißt, der Armee habe er sich nicht angeschlossen, so will das zumindest die Prager Zeitung beim Suhrkamp Verlag in Erfahrung gebracht haben (https://www.pragerzeitung.cz). Wird Zhadan berichten können, wie er in seinem Roman Internat vom Krieg im Donbass berichtet hat?
Ines Lauffer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt