Zum Buch:
Der gerademal siebenundzwanzigjährige Offizier Alois Pokora hat sich in den Gräben Flanderns eine schwere Kopfverletzung zugezogen. Als er schließlich in einem Berliner Krankenhaus aus dem Koma erwacht, hat er das Ende der Welt verschlafen: Der Krieg ist verloren. Der Kaiser hat abgedankt und befindet sich im Exil, die Straßen werden vom Chaos der noch jungen Revolution beherrscht.
Pokora entstammt einer verarmten, kinderreichen Bergarbeiterfamilie aus Schlesien. Anders als die Mutter, die viel und lange weint, wenn wieder eines ihrer Kinder an Auszehrung gestorben ist, zieht sich der wortkarge Vater hingegen stets allein in die Laube zurück und raucht Pfeife. Denn so ist das Leben: entbehrungsreich, gnadenlos gegen die Schwachen.
Nachdem der aufgeklärte Dorfpfarrer Alois’ Begabung erkennt, nimmt er diesen bei sich auf, schickt ihn zur Schule, wo er Deutsch sprechen lernt, damit er eine Chance hat, überhaupt im Leben weiterzukommen.
Der Krieg bricht aus. Pokora meldet sich freiwillig, weil er sich als richtiger Deutscher fühlen, sich für seinen Kaiser in die Schlacht stürzen will. Aus Demut vor einer größeren Idee, wie er glaubt.
Als er aus dem Krankenhaus entlassen wird, ist er ohne Papiere, ohne Geld und Waffe, selbst den Mantel hat man ihm gestohlen und nur seinen Verdienstorden belassen – denn in Zeiten wie diesen hat dafür niemand mehr Verwendung. Im Gegenteil, als er als Offizier erkannt wird, säbelt man ihm auf offener Straße die Epauletten ab, zwingt ihn, auf den Kaiser – dem er doch absolute Treue geschworen hat – und die Monarchie zu spucken.
Alois ist geschlagen, in seinem Glauben vernichtet, hungrig und bar jeder Hoffnung, da auch seine angebetete, unerreichbare Agnes, an die er immerzu denken muss, ihn mit Verachtung gestraft, ihn verraten und getäuscht hat.
Bald bettelt er mit ausgestreckter Hand auf dem Trottoir, bald verkauft er selbstgedrehte Zigarren für eine Kriegswitwe, die es gut mit ihm meint.
Und so dauert es nicht lange, bis auch er sich den Aufständischen anschließt; bewaffnet läuft er durch die Straßen Berlins, skandiert Parolen, tötet seinen ersten Deutschen. Denn damit die Welt eine bessere werden kann, muss das alte Deutschland sterben. Was Pokora bleibt, ist allein die Demut. Vor dem Leben.
Nach den Erfolgsromanen Morphin und Drach hat der polnische Ausnahmeschriftsteller Szczepan Twardoch mit Demut ohne Zweifel den Höchststand seines Schaffens erreicht. Wenn er den Ich-Erzähler Pokora (was auf Polnisch „Demut“ bedeutet) durch die Trümmerlandschaft des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts stolpern, ihn dabei immer wieder auch Rückschau auf seine Kindheit halten lässt, so sieht sich der Leser unweigerlich gefangen in einem Strudel aus Wortgewandtheit, absolutem Gespür für das Absonderliche und nicht zuletzt einer enormen Dichte und szenischen Tiefe. Twardoch gelingt es, selbst der Klischeehaftigkeit noch Eleganz, dem Derben Zartheit zu verschaffen. Ohne Zweifel ist er einer der beachtenswertesten Autoren unserer Zeit.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln