Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Tóibín, Colm

Marias Testament

Untertitel
Roman. Aus dem Englischen von Giovanni und Ditte Bandini
Beschreibung

Nach der Kreuzigung ihres Sohnes Jesus ist Maria nach Ephesus geflohen. Hier lebt sie seit Jahren unerkannt, zurückgezogen von der Welt. Seit einiger Zeit wird sie von zwei Männern besucht, die sie nach den damaligen Ereignissen ausfragen und denen sie unwillig antwortet, weil das, was sie zu erzählen hat, nicht dem zu entsprechen scheint, was die Männer hören wollen. „Marias Testament“ ist ein langer, innerer Monolog, es ist Marias Version der Geschichte, die sich deutlich von der unterscheidet, die in der Bibel überliefert ist.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Hanser Verlag, 2014
Format
Gebunden
Seiten
128 Seiten
ISBN/EAN
9783446244849
Preis
14,90 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Colm Toibin, 1955 in Irland geboren, wurde für seine Bücher mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. im Jahr 2013 mit dem Blue Metropolis Literary Grand Prix.

Zum Buch:

Maria ist alt geworden. Seit Jahren lebt sie zurückgezogen in Ephesus, der Stadt, in die sie geflohen ist, während ihr Sohn Jesus unter Qualen langsam am Kreuz starb. Geflohen? Vor Tod und Auferstehung? Das ist nicht die einzige Unstimmigkeit, die die beiden Männer, die sie seit einiger Zeit besuchen und nach ihrem Sohn befragen, zu irritieren scheint – sind sie doch schließlich bei vielen Ereignissen selbst dabei gewesen. Was sie von der Geschichte des Jesus von Nazareth aufschreiben wollen, ist anders, als es Maria ihnen erzählt. Denn die Männer schreiben für die Zukunft, bauen an einem Mythos für die Nachwelt, an dem sie teilhaben werden. So viel begreift Maria. Aber der Jesus, den sie erstehen lassen wollen, ist nicht der ihre. Ihr Sohn ist nicht der von Gott gesandte Erlöser, der predigend und Wunder vollbringend gefolgt von einer ständig größer werdenden Schar von Menschen, durch die Lande gezogen ist, bis er sein Ende am Kreuz fand.

Colm Tóibín erzählt von einer Frau, deren Sohn ihr fremd geworden ist. Der sich zu einem der vielen Prediger und Wunderheiler entwickelt hat, die das Land durchstreifen. Dem die Bewunderung der Menge zu Kopf zu steigen scheint und der angeblich Tote wieder auferwecken kann und Wasser in Wein verwandeln. Sie glaubt das alles nicht – obwohl sie einiges miterlebt – und betrachtet die hysterische Menge, die diese Wunder gesehen haben will, mit Skepsis. Aber sie liebt ihren Sohn und wird ihn, der keinen Kontakt zu ihr sucht, bis zur Kreuzigung begleiten. Umzingelt von Spionen und Häschern, am eigenen Leben bedroht, wird sie in Angst noch vor seinem endgültigen Tod fliehen.

„Marias Testament“ ist ein langer, innerer Monolog. Es gibt keine Stimme außer ihrer, keine andere Sicht der Ereignisse. Dieser Maria ist kein Engel erschienen, der sie auf ihre herausragende Rolle als Gottesmutter vorbereitet hat. Sie ist eine ganz und gar irdische Frau, voller Liebe zu ihrem Sohn, den sie nicht versteht, voller Angst um ihn und um sich und voller Skepsis. Ihre Schilderungen der Erweckung des Lazarus, der Hochzeit zu Kanaa sind nüchtern. Dennoch erlaubt der Autor beides: zu glauben oder zu zweifeln und das hält den Text wunderbar in der Schwebe. Denn auch das, was Maria erinnert, ist nur ihre Sicht der Dinge. Fern von allem Heiligkeitspathos erzählt hier eine Frau, die Außergewöhnliches erlebt hat, deren eigenes Leben durch ihren Sohn zerstört wurde und die nichts ahnt von ihrer zukünftigen Verherrlichung als Himmelskönigin.

Colm Tóibín wäre nicht der wundervolle Autor so vieler großartiger, höchst unterschiedlicher Bücher, wenn es ihm nicht auch hier gelänge, eine berührende und spannende Geschichte in einer gleichermaßen nüchternen und lyrischen Sprache zu erzählen.

Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt