Zum Buch:
Thomas Weidmann hat die Unistelle bei den Historikern in Berlin nicht gekriegt und zieht sich verzweifelt und desillusioniert ins heimische Bergenstadt zurück. Kerstin Werner lebt nach dem Scheitern ihrer Ehe mit halbwüchsigem Sohn und dementer Mutter im Einfamilienhäuschen und steht hilflos vor dem Zusammenbruch all ihrer Träume vom schönen Leben. Und drum herum tobt der Bär beim alle sieben Jahre stattfindenden Grenzgang Jahrmarkt, Ritual der Heimatverbundenheit und Mittel- wie Höhepunkt des Vereins- und Kleinstadtlebens. Der Grenzgang mit seinem siebenjährigen Rhythmus strukturiert das Leben am Ort und die Erinnerungen, bietet Gelegenheit zum Rückblick und günstigstenfalls auch zum Neuanfang.
Stephan Thome schickt seine Protagonisten auf einen harten Weg zwischen zwei Grenzgängen, der ihnen die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und ihren eigenen Grenzen aufzwingt, sie dazu nötigt, ihre Träume, ihre Hoffnungen zu überprüfen und sich ihr Scheitern einzugestehen, um die Freiheit für einen neuen Grenzgang wiederzugewinnen. In seinem Panorama der Kleinstadt, in der seit Generationen jeder jeden kennt, in der jeder alles sieht und in der man die Brötchen seit Generationen beim selben Bäcker kauft, auch wenn dessen Laden mittlerweile einer Kettenbäckerei gehört, fehlt billiger Provinzspott genauso wie die Verklärung einer vermeintlichen Idylle. Bei Thome wird die Provinz mit ihrem scheinbaren Versprechen von Sicherheit und Geborgenheit vielmehr zum idealen Hintergrund, vor dem nur um so deutlicher hervortritt, wie brüchig und gefährdet Lebensentwürfe sind, wie schwer es ist, ihr Scheitern einzugestehen, und wie viel Mut dazu gehört, neue zu zimmern. Wenn Provinzliteratur so klug gemacht ist wie Grenzgang, kann man sich nur wünsche: mehr davon und weniger Berlin!
Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main