Zum Buch:
Betsy Klein, schwanger mit ihrem ersten Kind, kommt aus New York ans Sterbebett ihres Vaters nach Südafrika. Der Vater liegt im Koma, seiner Tochter bleibt nur, Abschied zu nehmen. Sie tut das, indem sie ihm sein Leben erzählt, zusammengesetzt aus ihren Erinnerungen und seinen Erzählungen. Aus diesem Erzählen, diesem nur durch kurze Szenen aus der Gegenwart, dem Warten am Krankenbett, unterbrochenem Bewusstseinsstrom entsteht nach und nach das Bild eines Mannes, der sich dank der Unterstützung seiner Eltern und der finanziellen Hilfe eines Onkels aus dem Kramladen seines Vaters herausarbeitet und Medizin studiert, als jüdischer Allgemeinmediziner für Weiße und Schwarze gleichermaßen zum „Dr. God“ wird, zum unermüdlichen und begeisterten Arzt, der dennoch nie über eine Kindheit hinwegkommt, in der er der „Kleine“ war, von Anfang an viel zu dünn, mit schiefer Nase, ganz anders als die schöne ältere Schwester und der verhasste kleine Bruder. Diesen Minderwertigkeitskomplex kompensiert er mit Großsprecherei und mit Wutanfällen, die sich vor allem gegen Frau und Kinder richten, sobald die irgendetwas tun, was ihm nicht passt.
Das verbindende Element zwischen Vater und Tochter ist das Wasser. Der Fluss ist der einzige Ort, an dem sie sich je wirklich nahe gekommen sind. Wie Wasserwirbel in der fließenden Sprache der Autorin tauchen immer wieder zwei Szenen im Ruderboot auf: die eine – in der der Vater als Jugendlicher die Sexualität entdeckt – erotisch konnotiert, die andere, in der sich die Tochter als Kind auf einem Ausflug mit dem Vater, auf dem sie von einem Regensturm überrascht werden, unter den Sitzen des Boots zusammenrollt, Inbegriff von Geborgenheit.
Anne Landsman hat ein erstaunliches Buch geschrieben. Von Anfang an wird man in den Fluss der Erinnerungen, die plastischen, mal traurigen, mal wütenden, mal hochkomischen Bilder hineingezogen, schwimmt sozusagen mit durch die exotische Landschaft Südafrikas, die erotischen Obsessionen, die sich immer wieder verwirrenden Ströme der Erinnerungen aus einem so irritierenden wie faszinierenden Leben. Ein Roman wie ein Abenteuer!
Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main