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Autor
O'Nan, Stewart

Emily, allein

Untertitel
Roman. Aus dem Englischen von Thomas Gunkel
Beschreibung

Wie empfiehlt man ein Buch, in dem nichts passiert – denn empfohlen werden soll es unbedingt! Ein Buch, dessen „Heldin“ eine sehr alte Dame ist, deren größte Abenteuer darin bestehen, dass die Kinder und Enkel zu Besuch kommen, dass der alte Hund Schilddrüsenunterfunktion hat und sie sich nach langen Jahren endlich wieder selbst ans Steuer eines Autos wagt und den Friedhof ihrer Heimatstadt besucht, auf dem ihre Eltern liegen. So sachte und hintergründig, wie Stuart O’Nan den Leser sonst im Horror landen lässt, bringt er es in „Emily, allein“ fertig, aus dem Alltag einer alten Witwe einen Sog zu entfalten, der einen das Buch nicht mehr aus der Hand legen lässt.

Verlag
Rowohlt Verlag, 2012
Format
Gebunden
Seiten
379 Seiten
ISBN/EAN
978-3-498-05039-9
Preis
19,95 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Stewart O’Nan wurde 1961 in Pittsburgh geboren und wuchs in Boston auf. Er arbeitete als Flugzeugingenieur und studierte in Cornell Literaturwissenschaft. Heute lebt er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Avon, Connecticut. Für seinen Erstlingsroman «Engel im Schnee» erhielt er den 1993 William-Faulkner-Preis.

Zum Buch:

Der Radius von Emilys Leben in Pittsburg ist klein geworden. Sie ist seit Jahren verwitwet und lebt in dem Haus, in dem sie mit ihrem verstorbenen Mann glücklich gewesen ist, in einem Vorort der auch schon bessere Tage gesehen hat, aber immer noch respektabel ist. Ihr einziger Mitbewohner ist der alte, verfressene Hund Rufus. Kinder und Enkel leben längst in anderen Gegenden der USA. Aber einsam ist sie nicht. Es gibt hilfsbereite Nachbarn und Arlene, ihre gleichaltrige Schwägerin. Ihr Leben bewegt sich in den immer gleichen Bahnen. Dazu gehört, dass sie einmal in der Woche mit Arlene zum Frühstücksbuffet im Eat’n Park-Restaurant fährt. D.h. Arlene fährt und Emily sitzt zitternd daneben, da sie deren Fahrkünsten heftig misstraut – ihren eigenen aber noch mehr.

Bei einem dieser Frühstücke bricht Arlene im Restaurant zusammen und kommt ins Krankenhaus. Jetzt muss Emily selbst ans Steuer, um Arlene im Krankenhaus mit dem Nötigen zu versorgen. Und siehe da, es geht. Es geht sogar so gut, dass Emily, als Arlene wieder zu Hause ist, das alte Riesenschiff ihres Mannes, das immer noch in der Garage steht, verkauft und sich einen kleinen Wagen zulegt – mit Vierradantrieb für die Pittsburger Winter.

Aufregenderes passiert in diesem Buch nicht mehr. Der Leser begleitet Emily ein Dreivierteljahr durch ihren Alltag. Der besteht aus der eisern durchgehaltenen täglichen Routine: die selbst gekochten und lustlos gegessenen Mahlzeiten, Spaziergänge und Unterhaltungen mit Rufus, Gesprächen mit der Putzfrau, Beerdigungen. Höhepunkte sind die Besuche von Kindern und Enkeln, lang ersehnt, aber auch schwierig – wie solche Beziehungen eben sind. Wir lernen Emily in- und auswendig kennen. Ihre Ängste, ihre Gedanken und politischen Einstellungen, ihre kleinen Freuden und Ärgernisse.

Das Buch ist in viele kurze Kapitel gegliedert. Es kommt trügerisch schlicht daher, aber bevor man anfängt sich zu fragen, ob das denn alles sein soll, ist man der alten Dame verfallen. Ärgert sich mit ihr und über sie, durchlebt ihre kleinen Freuden und Sorgen und bekommt langsam große Hochachtung davor, wie sie sich selbst aushält und sich nicht in verführerische Schwermut und Apathie sinken lässt. Und da Emily keine naive Person ist, sondern mit ziemlichem Scharfblick und Sarkasmus ausgestattet – die sie für sich behält, die sich aber auch gegen sie selbst richten können – sind viele der geschilderten Situationen von einem leisen Humor. Wer die Ruhe aufbringt, den kleinen Dingen des Lebens nachzuspüren, findet in „Emily, allein“ ein wundervolles, beglückendes Buch.

Ruth Roebke autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt