Zum Buch:
1939 entgeht Dr. Peter Holstenkamp, Autor der autobiographischen Aufzeichnungen „Dort drüben… in den Kerkern. Dreißig Monate in Konzentrationslagern“, der Haft im Internierungslager in der Normandie. Einige Jahre überbringt der Frauenarzt Dr. Peter Holstenkamp der Familie seines Freundes dringend erwartete Nachricht aus französischer Gefangenschaft und verschwindet danach spurlos, nicht ohne die Kleider des früheren Freundes. Was hat das alles nun mit Karl Franz Lembke oder KFL, wie ihn die Autorin nennt, zu tun, der als Sohn eines Gefängniswärters auf der friesischen Insel Wangerooge geboren wurde? Auf den ersten Blick nichts. Und gerade dadurch kommt es KFL zu Gute. Erika Tophovens Recherchen zeigen uns einen Mann, der sich mit vielen Gesichtern und Geschichten durchgeschlagen hat. Die Liebe zum Schauspiel entdeckte KFL somit nicht erst im Knast, sie war es auch, die ihn mehr als einmal hinter Gitter gebracht hat. Alle Zeugenaussagen und Berichte sind sich in dem Punkt einig, dass Lembke ein überaus charmanter und kluger Mann war, der seine Eloquenz und ausgezeichneten Französischkenntnisse gekonnt in Szene setzen konnte. Ein Felix Krull der deutschen Kriegs- und Nachkriegszeit, wie Tophoven bemerkt. Auf einer bestimmten Ebene bleiben die Erkenntnisse über KFL immer enttäuschend, auf einen Riss in der Fassade, auf einen Blick hinter die Kulisse, hofft man vergebens. Aber gerade diese Leerstelle macht die Faszination des Hochstaplers aus. Er bleibt, trotz allem, immer ungreifbar, mehr Geschichte als Person. Die große Anziehungskraft, die Lembke ausstrahlte, lässt sich auch in den Zeitdokumenten wiedererkennen und überträgt sich auf den Leser. Hochstapelei als Lebenskunst, ist man geneigt zu denken.
Erika Tophoven gelingt es nicht nur, die verworrenen Lebenswege KFLs zu ordnen und auf spannende Weise darzustellen, sie lässt ihre LeserInnen auch an den Erfahrungen bei ihrer Recherche teilhaben. Mit ihr bewegt man sich auf seinen Spuren und teilt ihre Frustration ebenso wie ihre Begeisterung. Godot hinter Gittern ist damit zum einen ein Buch über Zeitgeschichte, über die Wirren des Weltkrieges und der Nachkriegszeit diesseits und jenseits des Rheins, und zum anderen eine Hommage an das zeitlose Phänomen des Hochstaplers, einer Figur, die alle hinters Licht führt und der man gleichzeitig nur allzu gerne glauben möchte.
Theresa Mayer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt