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Autor
Lohse, Stephan

Ein fauler Gott

Untertitel
Beschreibung

Sommer 1972. Ben ist 11, und sein kleiner Bruder ist gestorben – an „der Sache“. Ben stellt sich vor, dass Gott ein bisschen wie sein strenger Sportlehrer Herr Behrends und außerdem zu faul ist, um den Himmel selber aufzuräumen und zu putzen. Deswegen macht Gott Lebende zu Seelen, die dann im Himmel schuften müssen. Seelen haben lateinische Namen, deswegen weiß Ben auch nicht, wie sein kleiner Bruder im Himmel jetzt eigentlich heißt.

Lakonisch, realistisch und humorvoll beschreibt Stephan Lohse in seinem Debütroman, wie das Leben und der Tod aus dem Blick eines 11-jährigen aussehen könnten. Zusammen mit Ben lernen wir einiges über Freundschaft und nebenbei auch Winnetou kennen und begleiten Bens zaghafte Schritte in eine Teeniezeit, in der ihn auch die ersten sexuellen Erlebnisse, eingeklemmt zwischen Scham und Neugier, erwarten.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Suhrkamp Verlag, 2017
Format
Gebunden
Seiten
336 Seiten
ISBN/EAN
978-3-518-42587-9
Preis
22,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Stephan Lohse wurde 1964 in Hamburg geboren. Er studierte Schauspiel am Max-Reinhardt-Seminar in Wien und war unter anderem am Thalia Theater, an der Schaubühne in Berlin und am Schauspielhaus in Wien engagiert. Ein fauler Gott ist sein Debütroman. Stephan Lohse lebt in Berlin.

Zum Buch:

Sommer 1972. Ben ist 11, und sein kleiner Bruder ist gestorben – an „der Sache“. Ben stellt sich vor, dass Gott ein bisschen wie sein strenger Sportlehrer Herr Behrends und außerdem zu faul ist, um den Himmel selber aufzuräumen und zu putzen. Deswegen macht Gott Lebende zu Seelen, die dann im Himmel schuften müssen. Seelen haben lateinische Namen, deswegen weiß Ben auch nicht, wie sein kleiner Bruder im Himmel jetzt eigentlich heißt.

Zusammen mit Ben schleichen wir wie auf Zehenspitzen und mit angehaltenem Atem durch das Leben mit Mutter Ruth: ein gemeinsames Frühstück, Mittagessen, Abendessen. Und unter dem Tisch klebt noch der Kaugummi von Jonas. Die Zweisamkeit der Überlebenden scheint wie im Schock erstarrt. Teilen können Ruth und Ben die Trauer nicht. Ruth versucht, hinter verschlossenen Türen zu trauern, auf einer Heizdecke, das hat sie sich selbst verordnet, um ihre Trauer irgendwie zu begrenzen. Als wäre das möglich, wenn eine Mutter ihr Kind verliert. Ben bleibt mit seinen Gedanken und Fragen alleine. Dass man mit Herrn Pietät über die Größe eines Sargs für Jonas sprechen soll, findet Ben beängstigend, auch weil er befürchtet, dass sein toter kleiner Bruder dort irgendwo im Hinterzimmer liegt. Und dass man keinen Pfahlwurzler auf Jonas’ Grab pflanzen sollte, das weiß sogar Ben.

Ruths anfänglicher Wunsch, den Tod von Jonas rational dingfest zu machen und Erklärungen für das Unerklärliche beim Bademeister oder im Krankenhaus einzufordern, weicht langsam einer wortkargen, farblosen Leere. Weiter atmen, weiter essen, das Haus in Ordnung halten, weiter funktionieren ist das einzige, was Ruth vorerst kann.

Für Ben aber geht das Leben weiter. Ob das gut ist oder schlecht, weiß er manchmal selbst nicht. Es passiert einfach, und wenn er nicht traurig genug ist, hat er ein schlechtes Gewissen. Er freundet sich mit Chrisse an, dem Sohn seiner Französischlehrerin, mit dem er die Gegend erkundet. Und mit Herrn Gäbler, der Jonas noch kurz kennen gelernt hat, bevor der „die Sache“ und einen lateinischen Namen bekam. Mit leiser Empathie ist Herr Gäbler jetzt einfach da für Ben. Auf erdachten gemeinsamen Ausflügen, ausgerüstet mit Proviant und männlicher Schweigsamkeit, bringt der alte Mann Ben in einem Autowrack vor seinem Haus nicht nur das Autofahren, sondern auch ein paar Dinge über das Leben bei.

Lakonisch, realistisch und humorvoll beschreibt Stephan Lohse in seinem Debütroman, wie das Leben und der Tod aus dem Blick eines 11-jährigen aussehen könnten. Zusammen mit Ben lernen wir einiges über Freundschaft und nebenbei auch Winnetou kennen und begleiten Bens zaghafte Schritte in eine Teeniezeit, in der ihn auch die ersten sexuellen Erlebnisse, eingeklemmt zwischen Scham und Neugier, erwarten.

Lohse, der in einem Interview sagte, dass er zwischen Erinnern und Erfinden nicht wirklich unterscheidet, verwendet in keinem Satz, in keiner Szene einen Weichzeichner und ermöglicht gerade dadurch eine große Nähe zu seinem jungen Helden. Bens Heranwachsen, allem Verlust und Schmerz zum Trotz, unterstreicht einmal mehr, dass das Leben ein Geschenk ist, das man einfach nicht ablehnen kann.

Larissa Siebicke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt