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Autor
Lehmann, Helge

Die Todesnacht in Stammheim. Eine Untersuchung

Untertitel
Indizienprozess gegen die staatsoffizielle Darstellung und das Todesermittlungsverfahren
Beschreibung

Auf Veranlassung des damaligen Bonner Krisenstabes verschickte die Deutsche Presseagentur am 18. Oktober 1977, um 8.53 Uhr folgende Eilmeldung: »baader und ensslin haben selbstmord begangen.«
Diese Mitteilung über den Tod von Häftlingen aus der RAF im Hochsicherheitsbereich der JVA Stuttgart-Stammheim legte noch vor Beginn der kriminaltechnischen und gerichtsmedizinischen Ermittlungen die Richtung fest, der die Ermittler und die meisten Medien folgten. Der »kollektive Selbstmord der Häftlinge« scheint demnach bis heute die in Stein gemeißelte Wahrheit über die damaligen Ereignisse zu sein.
Dieses Buch stellt die offizielle Darstellung auf den Prüfstand. Nach jahrelanger Recherche aller zugänglichen Materialien, Auswertung neuer, da erstmals freigegebener Dokumente, sowie mit Hilfe praktischer Versuchsaufbauten entwickelt der Autor eine Art Indizienprozess. Er kommt dabei einer Vielzahl von Unterlassungen, Mängeln und einander widersprechenden Schlussfolgerungen in den amtlichen Untersuchungen auf die Spur.
Konnten Anwälte Waffen und Sprengstoff in das »sicherste Gefängnis der Welt« schmuggeln? Hatten die Gefangenen ein funktionierendes Kommunikationssystem? Entsprachen die Obduktionsergebnisse und Tatortermittlungen dem damaligen Stand der Wissenschaft, sind sie umfassend und in sich widerspruchsfrei? Welche Rolle spielten Kronzeugen für die Ermittlungsrichtung? Waren die Waffen- und Sprengstoffverstecke so möglich wie dargestellt? Was hatte es mit den in jener Nacht im Gefängnishof beobachteten Autos auf sich? Dies sind nur einige der Fragen, denen in dieser Untersuchung akribisch nachgegangen wird. Erstmals wurden hierfür zusätzlich materielle Testaufbauten geschaffen, um amtliche Behauptungen zu überprüfen. Der Autor rekonstruierte die »Aktencontainer«, die dem Waffenschmuggel gedient haben sollen, baute die angeblich funktionstüchtige Kommunikationsanlage nach, überprüfte die Möglichkeit eines Waffenversteckes im Plattenspieler Baaders anhand eines baugleichen Modells, nahm Schussvergleiche zu Bestimmung der Lautstärke von Schüssen in einem vergleichbaren Gebäude vor und präzisierte mit neuen Methoden die sehr wagen amtlichen Angaben über die Todeszeitpunkte von Baader und Ensslin. Die Frage, warum auch Jahrzehnte nach den Ereignissen wesentliche amtliche Aktenbestände zu diesem Komplex »aus Gründen der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland« weiterhin Staatsgeheimnisse sind, stellt sich aufgrund der Ergebnisse der hier vorliegenden Untersuchung um so dringlicher.
Zu diesem Buch hat der Autor die Webseite www.todesnacht.com eingerichtet, auf der Dokumente und weiterführende Materialien zum Thema einsehbar sind.

Verlag
Pahl-Rugenstein, 2011
Format
24,0 x 17,0 cm
Seiten
237 Seiten
ISBN/EAN
978-3-89144-437-5
Preis
19,90 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Helge Lehmann, Jahrgang 1964, ist IT-Spezialist und Betriebsrat in einem transnationalen Unternehmen.

Zum Buch:

Als der IT-Spezialist Helge Lehmann, der sich selbst bisher für einen eher unpolitischen Menschen hielt, im Sommer 2006 auf einem Flohmarkt eine gebrauchte Ausgabe von Stefan Austs Buch »Der Baader Meinhof Komplex« erwarb, hätte er sich mit Sicherheit nicht träumen lassen, was dieses als Urlaubslektüre gedachte Buch in ihm auslösen würde.

Bereits bei der Lektüre machte ihn die dürftige Anzahl von Quellenangaben stutzig, und so keimte in ihm die Frage auf, was sich in der fraglichen Nacht in Stammheim wirklich zugetragen hatte, denn, so Lehmann: »Eines war sicher, die offizielle Version würde einer genaueren Untersuchung nicht standhalten.«

Also begann er zu recherchieren. Akribisch. Vier Jahre lang. Er besorgte sich Akten aus den vorhandenen Archiven, Gutachten, stapelweise Bücher zum Thema RAF, Originaltonmitschnitte und sprach mit einer Reihe von Zeitzeugen, zum Beispiel ehemaligen Häftlingen und Wachleuten aus Stammheim. Aber nicht nur das, er machte sich auch die Mühe und besorgte sich ähnliche Aktenordner, Waffen, Plattenspieler etc., um durch Tests die »Möglichkeit oder Unmöglichkeit der offiziellen Version rund um die Todesnacht in Stammheim« nachzuweisen.

Man könnte es sich jetzt allzu leicht machen und Helge Lehmann als einen dieser zahlreichen Verschwörungstheoretiker mit enorm viel Zeit belächeln, aber das wäre wirklich zu einfach. Nein, wenn man seine Arbeit liest, dann kommt man einfach nicht umhin, sich selbst Fragen zu stellen. Viele Fragen.

Interessanterweise wurden mehrere seiner wiederholten Anfragen zur Akteneinsicht mit dem schwammigen Vermerk abgelehnt, dass diese »die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden würde«.
Und das über 30 Jahre nach Stammheim!

Ein interessantes Buch. Interessant und gleichzeitig enorm spannend. Eine Art Politkrimi, obwohl der Autor zu jeder Zeit objektiv bleibt und ganz ohne Effekthascherei auskommt.

Es lohnt sich auch, einmal einen Blick in die umfangreiche Dokumentensammlung auf der beigefügten CD-Rom zu werfen, die gleichzeitig als Quellenverweis dient.

Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln