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Autor
Landrigan, Stephen; Akbar Omar, Qais

Shakespeare in Kabul

Untertitel
Ein Aufbruch in drei Akten. Aus dem Englischen von Inge Uffelmann
Beschreibung

Die Welt horchte auf, als nach der Befreiung von der Talibanherrschaft eine Gruppe afghanischer Schauspielerinnen und Schauspieler Shakespeares Verlorene Liebesmüh in Kabul aufführte. Zum ersten Mal seit über dreißig Jahren standen Männer und Frauen – unverschleiert – gemeinsam auf einer Bühne und spielten eine Liebeskomödie! Nichts hätte die Welle der Hoffnung, die in der Zeit nach den Taliban durch das Land zog, mitreißender verdeutlichen können.

Aber während der intensiven Proben tauchen ungeahnte Konflikte auf. Für jeden einzelnen Teilnehmer wird das Projekt zu einer existenziellen Herausforderung, und bis zuletzt ist unsicher, ob die Premiere zum Triumph oder zur Katastrophe wird.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Unionsverlag, 2013
Format
Gebunden
Seiten
250 Seiten
ISBN/EAN
9783293004542
Preis
21,95 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Stephen Landrigan war als Journalist u. a. für The Washington Post und BBC Radio tätig und verbrachte fünf Jahre als Entwicklungshelfer in Afghanistan. Für die Produktion von Verlorene Liebesmüh versammelte er ein Übersetzerteam um sich, um Shakespeares Dichtung in die Landessprache Dari zu übertragen. Er lebt in Massachusetts.

Qais Akbar Omar entstammt einer Familie von Teppichhändlern, deren Geschäft er in vierter Generation leitet. Er studierte Journalismus an der Universität in Kabul und war Co-Regisseur und Dolmetscher bei der Theaterproduktion. Er lebt als Autor in Kabul.

Zum Buch:

2005 in Afghanistan. Die Taliban, die mit den Geboten des Islam und dem Verbot jeglicher kultureller Äußerungen, mit Unterdrückung und Gewalt das Land jahrelang geknechtet haben, scheinen besiegt. Für eine kurze Zeit breitet sich eine ungeheure Aufbruchstimmung aus. Zerstörte Kulturstätten werden wieder aufgebaut, Musik und Dichtung erleben eine Renaissance und westliche Institutionen helfen dabei durch die Finanzierung zahlreicher Projekte. Von dieser Entwicklung angezogen, kommen viele ausländische Künstlerinnen und Künstler ins Land. Unter ihnen ist die frankokanadische Regisseurin Corinne Jaber. In Kabul soll sie einen Workshop mit afghanischen Schauspielern durchführen, die, da es in Afghanistan kaum Theater gab und gibt, wenig Erfahrungen mit der Bühne haben. Die „Foundation for Culture and Civil Society“ ist ein Treffpunkt für Dichter, Musiker und Schauspieler. In ihrem Garten, einem magischen Ort der Ruhe und Schönheit, wird die Idee geboren, ein Theaterstück mit afghanischen Schauspielern für afghanische Zuschauer einzustudieren. „‘Hier sollte man eine Theateraufführung machen‘ sagte ich zu Corinne. … ‘Ja‘ antwortete sie … und fügte hinzu: ‘Shakespeare.‘
Damit fing alles an.“

Davon handelt dieses Buch. Erzählt wird es von dem Amerikaner Stephen Landrigan, der das Projekt begleitete, und dem Afghanen Qais Akbar Omar, der als Übersetzer, Co-Regisseur, Vermittler und Organisator wirkte. Abwechselnd erzählen sie in dem wie ein Theaterstück in Prolog, Steigerung und Höhepunkt und Lösung gegliederten Buch, was passiert, wenn in einem traditionellen islamischen Land westliche Künstler einen dort weitgehend unbekannten Dichter aus dem England des 16. Jahrhunderts aufführen wollen.

Das beginnt mit Fragen über Fragen, und eigentlich geht es bis fast zum Ende damit weiter: In welcher der vielen Sprachen Afghanistans kann man das Stück spielen? Woher eine Übersetzung nehmen? Was muss unbedingt wegfallen, um die Gefühle der Menschen nicht zu verletzen? Was muss geändert werden, damit die Zuschauer überhaupt verstehen, worum es geht? Woher Schauspieler nehmen, die sich auf all diese Schwierigkeiten einlassen? Wie bringt man afghanische Männer dazu, sich von einer Regisseurin Vorschriften machen zu lassen, der es offensichtlich schwer fällt, sich auf die dortigen Verhaltensweisen einzulassen. Wie überwindet man die Schwierigkeiten der Frauen (oder deren Familien), sich in der Öffentlichkeit darzustellen?

Aber am Ende geschieh das Wunder: Männer und unverschleierte Frauen stehen gemeinsam auf der Bühne, spielen eine Liebeskomödie, in der sie miteinander scherzen, flirten und sich sogar berühren! Und das Publikum ist begeistert. Aber spätestens bei Gastspielen in Mazar i Scharif und Herat zeigt sich auch, wie schwierig solche Projekte unter den Verhältnissen im Land immer noch sind.

Das Buch endet mit der Rückfahrt aller Beteiligten nach der letzten Vorstellung nach Kabul. Während der Fahrt, die tagelang dauert, entbrennt zwischen den Schauspielerinnen und Schauspielern ein Dichterwettstreit: jedes dichterische Zitat muss von der anderen Partei mit einem weiteren beantwortet werden, das mit dem Endbuchstaben des Vorangegangenen beginnen und sich auf derselben stilistischen Ebene befinden muss. Spontan beteiligen sich auch Außenstehende daran, was einen Amerikaner zu der Bemerkung hinreißt: „Die Analphabetenrate mag ja hoch sein in Afghanistan, aber die allerwenigsten der sogenannten hochgebildeten Amerikaner würden wohl auch nur einen Bruchteil ihres kulturellen Erbes so souverän handhaben können, wie es diese Afghanen mit ihrem dichterischen Erbe vorgeführt haben.“

„Shakespeare in Kabul“ ist ein ungeheuer mitreißendes Buch. Der Stil der Autoren ist sehr direkt, und aus jeder Zeile sprechen die Freude, das Engagement und die Begeisterung aller Mitwirkenden. Gerade auch der Unterschied zwischen den beiden Autoren und ihrer jeweiligen Mentalität ist spannend. Und wenn man den Prolog, der von all der Euphorie in diesen Monaten erzählt, am Ende noch einmal liest, schnürt es einem die Kehle zu vor Wut und Trauer darüber, wie wenig davon geblieben ist.

Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt