Zum Buch:
Angesichts der Gestaltung des Buchumschlags, auf dem im Hintergrund die Namen Viktor Orbán, Jarosław Kaczyński, Wladimir Putin, Xi Jinping und Donald Trump zu sehen sind, ist nicht schwer zu erraten, welches Licht hier erloschen ist: das des westlichen Liberalismus. Der bulgarische Politikwissenschaftler Ivan Krastev und der US-amerikanische Rechtswissenschaftler Stephen Holmes gehen in ihrem Buch Das Licht, das erlosch. Eine Abrechnung der These nach, wonach die scheinbare Alternativlosigkeit des westlichen Liberalismus in den letzten dreißig Jahren zu unterschiedlichen Formen der Nachahmung geführt habe, die dem Liberalismus heute zum Verhängnis geworden ist. Eine „Nachahmungsvergiftung“ sei schuld am rechten Populismus unserer Tage. Ein wertvoller Beitrag zu einer der zentralsten politischen Debatten der Gegenwart.
Krastev und Holmes gehen in ihrem Buch der Frage nach, wie es dazu kommen konnte, dass der Liberalismus, der nach dem Ende des Kalten Krieges scheinbar unangefochten gesiegt hatte, nun von allen Seiten angefeindet und von vielen dem Untergang nahe gesehen wird. Die „Abrechnung“ der beiden Autoren richtet sich gegen einen arroganten Liberalismus, der sich nach dem Ende des Kalten Krieges seiner Monopolstellung sicher war und sie nun, zur Verwunderung seiner Anhänger_innen, wieder verloren hat. Krastev und Holmes sprechen von einem dreißigjährigen „Zeitalter der Nachahmung“ seit 1989. Aus der Konfrontation zwischen West und Ost sei es zu einer moralischen Asymmetrie zwischen dem Westen und seinen Nachahmern gekommen. Im Antiliberalismus der Gegenwart zeige sich nun das Aufbegehren der Nachahmer gegen die Nachgeahmten. Der Populismus in Mitteleuropa und Russland sei aus Protest gegen die Proklamation des „Endes der Geschichte“ nach dem Kalten Krieg und der Alternativlosigkeit entstanden, die sich aus der Hegemonie des Liberalismus entwickelt hat. Nacheinander beschreiben die Autoren Formen der Nachahmung in Mitteleuropa (Ungarn und Polen), in Russland und China sowie das Ende des Exports des amerikanischen Modells in den USA unter Donald Trump. Auf dieser Grundlage arbeiten Krastev und Holmes drei Entwicklungsstile von Nachahmern heraus:
Im postkommunistischen Mitteleuropa kommt es durch Bekehrung zu einer „Nachahmung der Ziele“. In den mitteleuropäischen Staaten galt nach dem Ende des Kommunismus die Nachahmung des Westens als einzige Strategie, um zu Wohlstand und Ansehen zu kommen. Damit einher gingen aber Gefühle der Scham und der Erniedrigung, weil die Nachahmung nie perfekt gelingen konnte. Diesen Minderwertigkeitskomplex greifen nun, so die Autoren, mitteleuropäische Populisten wie Orban auf und beschreiben die postkommunistische Phase der Nachahmung als „weiche Kolonialisierung“ des Westens, der sich mit nationalem Stolz widersetzt werden muss.
In China wiederum ist es zu einer„Nachahmung der Mittel“ durch Entleihen gekommen. China habe westliche liberale Werte nie als Schlüssel für Wachstum gesehen und sich stattdessen auf die Nachahmung und schließlich Überbietung westlicher Technologie konzentriert. China, das die kommunistische Ideologie zugunsten einer absoluten Zentralisierung der Macht aufgegeben hat, geht es nicht um die Verbreitung seines politischen Modells, sondern allein um den Export von Waren und den Ausbau von Handelswegen. Die Angst, China könnte mit seinem Modell bald die ganze Welt beherrschen, sei deshalb wenig begründet.
Den dritten Nachahmungstyp finden die Autoren im postkommunistischen Russland, wo es durch Simulation zur Nachahmung des äußeren Scheins gekommen sei. Zwanzig Jahre lang habe Russland so getan, als strebe es danach, ein demokratischer Staat nach westlichem Modell zu werden. Einen Wendepunkt bildete dann 2014 die russische Annexion der Krim. Seitdem wurde der Welt unverhohlen deutlich gemacht, dass Putin zynisch und aggressiv die Schwächen westlicher Demokratien spiegelt, etwa im Bereich des internationalen „Abenteuertums“, und sie so unterwandert – und zwar nicht aus ideologischen Gründen, so Krastev und Holmes, sondern um Russlands verlorenen Status als Weltmacht wiederherzustellen und die Machtlosigkeit des Westens zu beweisen.
Die USA unter Trump nun schließen sich den Prozessen an, die aus der Nachahmung hervorgehen. Was zunächst kontraintuitiv wirkt (warum sollte ein Präsident, der dem Slogan „America first!“ folgt, sich dem amerikanischen Exzeptionalismus und dem Export des amerikanischen Modells verweigern?), wird durch Krastevs und Holmes’ Argumentation nachvollziehbar: Trump verbindet mit dem Ärger über die Nachahmer des amerikanischen Modells, wie es die Immigrant_innen und China sind, die Angst, überholt und ersetzt zu werden. Indem er die Rolle des moralischen Vorbilds aufgibt, kann sich Trump ohne jeden Skrupel den nationalen Interessen (oder was er dafür hält) der USA widmen.
Nach diesen so scharfen wie düsteren Analysen endet das Buch zuletzt dennoch optimistisch. Die Autoren sprechen hier von ihrer Hoffnung auf einen „geläuterten Liberalismus“ für das 21. Jahrhundert, der sich von dem Streben nach globaler Hegemonie „erholt hat“. Das Ende des Nachahmungszeitalters nämlich bedeute nicht nur Populismus und Autoritarismus, sondern auch die Vorteile einer Rückkehr in eine pluralistische kompetative Welt. Hoffen wir das Beste.
Alena Heinritz, Münster