Zum Buch:
Mrs. Headway, eine Amerikanerin in den besten Jahren, gutaussehend, eloquent und selbstbewusst, möchte in der noblen englischen Gesellschaft Fuß fassen. Was ihr in Amerika nicht gelungen ist, will sie ausgerechnet in Europa erreichen. Einige gescheiterte Ehen und ein ziemlich lockerer Lebenswandel im fernen Amerika sind zwar nicht gerade das beste Entrée für ihr Vorhaben, aber wer kann in Europa schon davon wissen? Schließlich konnten Informationen dieser Art im späten 19. Jahrhundert nur durch persönliche Vermittlung über den „großen Teich“ gelangen.
Mrs. Headway weiß aber sehr wohl, dass in der feinen englischen Gesellschaft neben Herkunft und Vermögen vor allem der untadlige Ruf eine enorme Rolle spielt. Dafür braucht sie einen Fürsprecher. Ist die Begegnung mit Mr. Littlemore, ihrem Landsmann, in Paris eine glückliche Fügung? Zwar hat er die allerbesten Kontakte in eben jene Gesellschaft, kennt leider aber auch ihr Vorleben zur Genüge. Sir Arthur Demesne, ihr Verehrer, wartet sehnlichst darauf, jemanden zu treffen, der ihre „Ehrbarkeit“ bezeugen kann. Nur dann könnte er sie guten Gewissens heiraten.Was soll Mr. Littlemore, ein Gentlemen, nun tun?
Letztendlich ist seine Entscheidung irrelevant für das weitere Geschehen, denn Mrs.Headway nimmt ihr Schicksal zielstrebig in die eigene Hand. Ein wenig nach dem Motto: „Wo ein Wille, da ein Weg“, agiert sie mit ihren weiblichen Reizen, punktet mit Spontanität, geschickter Taktik und ihrem amerikanischen Westküsten-Charme. Damit setzt sie ihre Gegnerinnen – Lady Demesne, die Mutter ihres Verehrers, und Mrs. Dolphin, die Schwester von Mr. Littlemore, die moralischen Instanzen der feinen Gesellschaft – Schachmatt.
Die „Salonerzählung“ von Henry James entstand in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts und spiegelt gewiss seine eigenen Erfahrungen mit der noblen englischen Gesellschaft wider. Als weltoffenem Amerikaner musste ihm diese starre englische Etikette wie eine Farce vorkommen. Psychologisch sehr subtil beschreibt er jenes gesellschaftliche Korsett, in das sich jeder pressen lassen musste, der dazugehören wollte. Erfrischend dagegen seine „Heldin“ Mrs. Headway, die ihren Aufstieg in die besseren Kreise minutiös plant und geschickt durchführt. Eine intelligente und unterhaltsame Strippenzieherin, die es trotz ihrer bewegten Vergangenheit oder vielleicht gerade auch deshalb schafft.
Brigitte Hort, Eitorf