Zum Buch:
»Alles ist möglich in einem Zug: ein üppiges, geradezu fürstliches Mahl, ein Besäufnis, Besuch von Leuten, die Karten klopfen, eine heimliche Liebschaft, erholsamer nächtlicher Schlaf und die Geschichten von Fremden, so klassisch wie russische Erzählungen.«
Im Frühsommer 1973 verabschiedet sich der amerikanische Reiseschriftsteller Paul Theroux in der Londoner Victoria Station von seiner Frau und den Kindern und steigt in einen Zug. Im Laufe eines halben Jahres reist er von Paris aus über die Schweiz, Italien, Jugoslawien, die Türkei, Iran, Afghanistan, Pakistan, Indien, Birma, Thailand, Malaysia, Laos, Japan und die UDSSR zurück nach London. Zu Lande, zu Wasser oder in der Luft. Die meiste Zeit jedoch wird er sich in Zügen aufhalten, denn Theroux liebt das Zugfahren über alles. Er benutzt die berühmtesten Züge der Welt. Den Orient-Express (»Früher einzigartig, mit seinem Service, ist heute einzigartig, weil aller Service fehlt«), den Rajdhani-Express, den Golden-Arrow, den Hatsukari und schließlich den Transsibieren-Express. Daher bleibt es nicht aus, dass er sich bei seinen Reisebeschreibungen weniger mit den hundertfachen Sehenswürdigkeiten aufhält, sondern vielmehr den meisten Wert darauf legt, die Charaktere von völlig zufälligen Mitreisenden zu schildern, die ihm auf zigtausenden Schienenmeilen begegnet sind.
Ich bin ein großer Freund der Reiseliteratur, aber so etwas habe ich mein Lebtag noch nicht gelesen. Theroux dabei über die Schulter zu gucken, wie er zum Beispiel mit einem Pulk von langhaarigen, zugekifften Hippies durch den Iran reist, mit dem Yasar Kemal um die Wette schwimmt und verliert, sich über die Möhrenmarmelade in Teheran wundert, heimwehkranke US-Soldaten tröstet oder sich im sibirischen Wostok-Express zwischen der „harten“ und der „weichen Klasse“ entscheiden muss, dann ist das eine Kurzweil, die ihresgleichen sucht und die den Leser gerade dadurch für sich einnimmt, dass es Theroux an keiner Stelle an Selbstironie fehlen lässt und einen überaus angenehmen Humor an den Tag legt. Ja, man kommt nicht umhin, bei der nächstbesten Zugreise, und sei es nur von Köln nach Castrop-Rauxel, weniger aus dem Fenster oder in ein Buch zu schauen, sondern sich vielmehr seinen Mitreisenden zuzuwenden. Das Ding dabei ist, man wird sie ja eh nie wiedersehen.
Ich habe dieses Buch sehr, sehr gerne gelesen. Und ich werde es sicherlich noch einmal lesen. Nicht im Zug. Hinterher.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln