Zum Buch:
„Man sollte nicht herumerzählen, dass man unbedingt irgendwo hinfahren möchte, weil einem jeder zehn Gründe dafür aufzählt, es sein zu lassen. Alle wollen, dass man zu Hause bleibt, Hackbraten mümmelt und am Computer spielt – weil sie das selber auch tun.“
Die Gründe, das Vorhaben beiseite zu legen und sich anderen, weniger gefahrvollen Themen zuzuwenden, gehen weit über die hinaus, die ein gewöhnlicher Reisender in Mexiko zu gewärtigen hätte. Dafür sprechen allein die über hundert ermordeten Journalisten, die dort in den letzten zehn Jahren zu verzeichnen waren. (Darin nicht miteingerechnet über zwei Dutzend, von denen man bis heute nie wieder etwas gehört hat.) Hinzu kommt, dass Paul Theroux mit seinen 76 Jahren beileibe nicht mehr der Jüngste ist. Doch lässt sich der erfahrene Reiseschriftsteller auch davon keinesfalls aufhalten und setzt sich eines schönen Morgens im Frühjahr 2017 in seinen Wagen, um die lange Fahrt bis nach McAllen, der nächsten Grenzstadt zu Mexiko, anzutreten. Denn er will sich selbst ein Bild von eben jener Situation entlang der Grenze machen, welche die meisten seiner allzu schreckhaften Landsleute allein aus dem Fernsehen kennen.
Am Ende seiner mehrere Tausend Meilen langen Reise wird er, der von den Einheimischen höflich mit „Don Pablo“ angeredet wird, ein Mexiko kennengelernt haben, das den meisten Reisenden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verborgen bleiben wird, denn wenn auch das Motto von Theroux’ Reiseleben lautet: „Ich schaue mich mal um“, so steckt darin doch eine ziemliche Untertreibung. Denn er tut natürlich weit mehr als das. Er spricht die Leute von sich aus an. Er fragt, hakt nach, ohne aufdringlich zu sein, und ist obendrein ein begnadeter Zuhörer. Und dabei macht er keinen Unterschied zwischen einfachen Campesinos, bis an die Zähne bewaffneten Grenzschützern, ängstlichen Migranten aus Südindien, durchtriebenen Menschenschmugglern, vierschrötigen Gringos oder tätowierten Kleinkriminellen.
Und ein guter Zuhörer muss er auch sein, denn auf diese Art gelingt es ihm, ein völlig anderes Bild seiner Grenzerfahrungen zu zeichnen, das nicht allein von Gewalt geprägt ist. Vielmehr dringt er tief in ein Mexiko ein, vor dem der nördliche Nachbarstaat sich keinesfalls zu ängstigen bräuchte, denn es gibt mehr als zehn Gründe, hinter den Grenzzaun zu gucken.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln