Zum Buch:
Dieser Morgen im März ist wie ein Morgen im Sommer: sonnig und mild. Der Mothering Sunday im Jahr 1924 riecht nach Frieden, man könnte sogar ein Picknick arrangieren. Jay, das Dienstmädchen von Beechwood, hat vor, ihren freien Tag mit einem Buch aus der Bibliothek ihrer Herrschaften unter dem blühenden Magnolienbaum zu verbringen. Aber dann kommt der Anruf.
Alle Dienstmädchen fahren zu ihren Müttern, die Herrschaften treffen sich zum gemeinsamen Lunch mit Freunden, kaum ein Sohn hat den Krieg in Frankreich überlebt. Nur Paul Sheringham, und der wird in zwei Wochen Emma Hobday heiraten. Er ist es, der an diesem Morgen anruft und seine Geliebte Jay nach Upleigh House bestellt, denn Pauls Eltern haben sich mit Emmas Eltern und der befreundeten Familie Niven, Jays Dienstherren, zum Lunch verabredet.
Kurz vor elf fährt Jay mit dem Fahrrad zwischen Lindenbäumen und den Rabatten mit Osterglocken über die Auffahrt zum offiziellen Eingang von Upleigh House. Dort und nicht am Dienstboteneingang wird er sie empfangen. Ihr Fahrrad bleibt, für jeden sichtbar, an die Hauswand gelehnt stehen. Er wird sie durch die Eingangshalle, vorbei an den Orchideen seiner Mutter, die Treppe hinauf in sein Zimmer führen und in diesem lichtdurchfluteten Raum so langsam entkleiden, als würde es nie wieder einen Tag, eine Gelegenheit wie diese geben.
Nach der Liebe rauchen sie nackt eine gemeinsame Zigarette auf dem Bett, bevor Paul aufsteht, um sich anzukleiden. Um halb zwei ist er mit seiner Verlobten verabredet. Seine Augen wandern an ihr, die nackt im Bett sitzt, auf und ab, während er sich ankleidet, und dieses Ankleiden kommt einem Ritual gleich. Sie hört, wie er fortfährt, sie nimmt das Haus, das er ihr hinterlassen hat, mit ihrer Nacktheit in Besitz. Und doch wird dieser Tag schon am Abend Erinnerung sein, eine Erinnerung, die sie in allen Einzelheiten bis ins hohe Alter erfüllen wird.
So fein und gleichzeitig so konkret erzählt Graham Swift diese Geschichte einer Liebe, die am Ende des Buches ein jähes, überraschendes Ende findet – man ist versucht, über die Seiten zu streichen, um noch mehr zu ertasten, mehr von dem Ungesagten, das zwischen den Zeilen schwebt und eine flirrende, sommerliche und zugleich ein wenig unwirkliche, ja manchmal fast schon bedrohliche Atmosphäre hinterlässt. Eine vollendete Komposition.
Susanne Rikl, München