Zum Buch:
Als ich den Titel las, Niceville, dabei gleichzeitig das, wie ich fand, recht einfallslose Cover betrachtete und anschließend auf der Rückseite den Teaser las, „Ein Höllenritt von einem Roman“, da dachte ich mir zunächst, vergiss es, Junge, das brauchst du nicht. Aber da sah ich, dass Dirk van Gunsteren übersetzt hat, und dann stand da außerdem noch dieser Vergleich mit Cormac McCarthy. Mit Stephen King. Ich dachte mir, okay, mal sehen, wo das hinführt, du kannst es ja wieder weglegen. Aber das ging dann nicht mehr, weil die Story immer fesselnder wurde und ich nach 20 Seiten einfach nicht mehr aufhören konnte. Gut, was die Glaubwürdigkeit der Handlung angeht, so bewegt sich der Autor zuweilen auf äußert schmalen Graden, aber man merkt auch sehr schnell, daß es ihm darum gar nicht geht, er hat einfach nur eine verdammt spannende, teilweise richtiggehend schauererregende Geschichte zu erzählen, der man einfach nur gebannt folgt, man liest weiter und weiter und muss unbedingt wissen, wie das, was da passiert, ausgeht.
Niceville ist eine ruhige, völlig uninteressante Kleinstadt tief im Süden der USA, die vor langer Zeit aus unerfindlichen Gründen im Schatten eines riesigen Kalksteinfelsens erbaut wurde. Viele Häuser in Niceville stammen noch aus dieser Zeit, und man gehört auch heute noch entweder der einen oder der anderen Gründerfamilie an, die immer schon das Sagen hatten und die Niceville zu dem gemacht haben, was es heute ist. Eine Stadt, in der rein gar nichts passiert. Das ändert sich an einem ungewohnt kühlen Samstagmorgen. Eine Bank wird überfallen. In der anschließenden Verfolgungsjagd sterben gleich mehrere Cops im Kugelhagel, und während eines Streits schießen sich die Bankräuber gegenseitig nieder. Etwa zur gleichen Zeit trödelt ein kleiner Junge namens Rainey Teague auf dem Weg nach Hause vor einer Reihe Schaufenster herum und ist im nächsten Moment wie vom Erdboden verschluckt. Ein weiterer brutaler Mord geschieht. Dann ein Selbstmord. Dann heißt es, eine alte Dame sei ebenso spurlos verschwunden wie ihr betagter Hausverwalter. Und die Meldungen reißen nicht ab, so dass der zuständige Ermittler, Nick Kavanaugh, schon bald völlig ratlos ist; die einst so ruhige Stadt droht an einem einzigen Wochenende völlig in Gewalt und Chaos zu versinken.
Eine Woche später wird der Junge gefunden. Es braucht mehrere Männer und Werkzeuge, um ihn aus einer verschlossenen Gruft zu befreien, zu der es keinen weiteren Zugang gibt. Er lebt. Doch die Frage, wie er dort hineingekommen ist, was überhaupt passiert ist, kann er nicht beantworten, denn er fällt in ein tiefes Koma. Nick Kavanaugh bleibt nicht mehr viel Zeit, um die rätselhaften Vorkommnisse aufzuklären, denn schon wird eine weitere Person vermisst. Sein Vater. Etwas Dunkles, etwas Böses hat sich wie ein greifbarer Schatten über Niceville gelegt.
Niceville ist der erste Band einer Trilogie, die leider erst 2014 beendet sein wird. Carsten Stroud macht es seiner Fangemeinde damit also nicht gerade leicht, doch es bleibt einem nichts anderes übrig als zu warten: wenn man das hier gelesen hat, dann will man, dann muss man unbedingt wissen, wie die ganze Geschichte zu Ende geht.
Ich bin kein Krimifreund. Ich lese keine Thriller. Aber das hier, das ist erste Sahne. Ein Buch, von Dirk van Gunsteren (T.C. Boyle, Thomas Pynchon, Philip Roth) grandios übersetzt, ein Buch wie ein abendfüllender Film, inklusive Chips oder Popcorn, nur sollte man dabei das Kauen nicht vergessen. Willkommen in Niceville.
Und um dann noch auf den Vergleich zurückzukommen. King? Ja. Wieso nicht, obwohl King, zumindest in seinen früheren Büchern, in seinem Genre kaum zu überbieten war. McCarthy? Nein. Aber Carsten Stroud kann auch gut und gern für sich selbst stehen.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln