Zum Buch:
Marlene Streeruwitz ist bekannt für ihre Literatur, die gegenwärtige gesellschaftliche Ereignisse nicht beschreibt, sondern schreibend begleitet. Das Format des digitalen Fortsetzungsromans hat sich für diese Arbeit bewährt: In regelmäßigen Abständen publiziert sie auf ihrer Homepage (http://www.marlenestreeruwitz.at/) Texte wie etwa den „Wahlkampfroman”: So wird das Leben“ mit Kommentaren zur österreichischen Bundespräsidentschaftswahl 2016. Diesem Muster folgt auch ihr „Covid-19-Roman“ So ist die Welt geworden, der während des ersten Lockdowns 2020 zunächst als Fortsetzung auf der Homepage der Autorin erschien und dann von bahoe books in sehr schöner Aufmachung als Buch erschienen ist.
Marlene Streeruwitz Corona-Roman So ist die Welt geworden ist die Geschichte von Betty, einer Schriftstellerin, die während der Corona-Pandemie auf sich und ihre Wohnung zurückgeworfen ist. Lesungen, Buchmessen und Veranstaltungen fallen aus; Betty muss einen Antrag auf finanzielle Unterstützung stellen, und ohne Verpflichtungen und die Begegnungen mit Kolleg:innen und Freund:innen fällt es ihr immer schwerer, ihrem Leben eine Struktur zu geben. Obwohl sie als Schriftstellerin an das Arbeiten von Zuhause aus gewohnt ist, lähmt sie die Situation, und sie schafft es nicht zu schreiben. Dennoch hilft Betty in dieser Situation ihr schriftstellerischer Einfallsreichtum: Sie erfindet sich zwei Freundinnen, Fiorentina und Irma, die sie als Protagonistinnen ihres Romans durch den Lockdown begleiten. Diese Freundinnen sind aber keineswegs sanfte Unterstützerinnen der von Selbstzweifeln befallenen Schriftstellerin, sondern halten ihrer Unzulänglichkeit oft unbarmherzig den Spiegel vor. Damit schaffen sie es aber, Bettys Wut zu wecken, die ihr die Lebensenergie zurückbringt.
Streeruwitz trotzige Reaktionen in der Presse auf die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Krise mögen nach dem heutigen Stand der Dinge seltsam veraltet erscheinen. Ihr Roman aber ist ein wertvolles Zeugnis des Lockdowns, der sich auf geniale Art und Weise der Frage widmet: Wie kann über die Ereignislosigkeit geschrieben werden? Dieses Spiel mit dem Ereignis als scheinbar unentbehrlicher Zutat für Literatur führt Streeruwitz auf kluge, humoristische Art vor, wenn Bettys Freundinnen sie etwa immer wieder bedrängen, doch endlich eine Liebesgeschichte zu beginnen, damit endlich etwas passiert, über das dann erzählt werden kann. Betty weigert sich hartnäckig, dem Drängen der Freundinnen nachzugeben, und widmet sich hingebungsvoll ihrer Melancholie, dem mühevollen Zusammenhalten der alltäglichen Verrichtungen und den wenigen Freuden, die das Essen für sie bereithält.
Mit der Figur der Betty entwirft Streeruwitz eine Möglichkeit, Pandemie und Lockdown zum Anlass zu nehmen, kritisch über gesellschaftlichen Strukturen zu reflektieren, deren Wirken bzw. deren Mangelhaftigkeit die Krise sichtbar macht. Das geschieht z.B. bei Bettys Nachdenken über Worte und Wendungen, die in der Kommunikation über die Pandemie leitmotivisch werden, wie z.B. „sich zusammennehmen“, und die „leidende“ Wirtschaft. Das Interessante an diesem Roman ist aber die Konstellation aus der zwischen Lethargie, Depression und Wut wechselnden Schriftstellerin und ihren zwei Freundinnen. Zuweilen, wenn die Leserin oder der Leser darauf angewiesen ist, dass Betty ihren ausgedachten Begleiterinnen Gedanken und Erlebnisse berichtet, ist es erst diese Konstellation, die das Erzählen möglich macht. Aus Bettys um sich selbst kreisendem Monolog wird so ein Gespräch, das den Blick von der Enge der Isolation befreit und Anknüpfungspunkte bietet.
Alena Heinritz, Innsbruck