Zum Buch:
Zwischen den Jahren 2002 und 2014 trafen sich die französische Kulturjournalistin Laure Adler, Autorin von Büchern über Marguerite Duras, Simone Weil und Hanna Arendt, und der Literaturwissenschaftler und Philosoph George Steiner, einer der großen Intellektuellen der Gegenwart, zu einer Reihe von Gesprächen. Steiner nannte die Treffen später „einen langen Samstag“. Die dabei entstandenen Texte wurden im Anschluss von den Autoren umgeschrieben und umstrukturiert und zu thematischen Kapiteln geordnet. Entstanden ist so, auf knapp 160 Seiten, eine kleine Einführung in Leben, Werk und Denken des Literaturtheoretikers, Kulturkritikers und Essayisten Steiner. Ein Buch, das auch ohne theoretische Vorkenntnisse wunderbar lebendig und anregend zu lesen ist.
Die einzelnen Kapitel behandeln Steiners Lebensthemen: Die Erfahrung des Exils, die Liebe zur Sprache (er spricht und schreibt in fünf Sprachen und bedauert, nicht noch mehr gelernt zu haben) und zu den Büchern, die Verwurzelung in der abendländischen Kultur und im Judentum, die Neugier auf alles Fremde, die Auseinandersetzung mit den Natur- und Geisteswissenschaften und ihren großen Mythen und immer wieder die Musik. Die Form des Gesprächs macht den Text ungeheuer lebendig (auch wenn es dadurch zu einigen Wiederholungen kommt), weil Steiner immer Position bezieht und eine deutliche Meinung zu den Dingen vertritt, über die er spricht.
Erstaunlicherweise spielte es für mich beim Lesen keine Rolle, ob ich der gleichen Meinung wie der Autor oder gegenteiliger Ansicht war. Es ist einfach beglückend, von einem Menschen zu lesen, der in hohem Alter mit solcher Vehemenz und Anteilname in der Welt steht. Der unglaublich gebildet, belesen und klug, aber so gar nicht abgeklärt ist – weshalb ich ihm auch die Positionen verzeihe, die ich nicht teilen kann. Mit Vergnügen habe ich mich dabei ertappt, im inneren Dialog mit dem Autor zu zanken, wenn er z.B. Simone de Beauvoir zwar durchaus Brillanz zubilligt, aber betont: „Welch ein Glück, dass sie auf Jean Paul Sarte gestoßen ist.“
Steiner kann über Versäumtes trauern, kann sich über Dinge, die ihm zuwider laufen, erregen, er ist fähig zu Empathie und Ablehnung, voller Humor und Ironie. Die Kraft und die Neugier, die aus vielen seiner Sätze sprechen, sind mitreißend, und das macht die Lektüre von der ersten bis zur letzten Zeile zum Vergnügen.
Ruth Roebke, autorenbuchhandlungmarx&co, Frankfurt