Zum Buch:
Gleich vorweg und damit ich es nicht vergesse: Sehen Sie sich unbedingt den Umschlag des hier empfohlenen Buches als Ganzes an, also Vorder- und Rückseite, die aufgeschlagen als Querformat zusammengehören. Der stille und doch ganz wunderbare kleine Roman, der sich hinter diesem Umschlag verbirgt, ist eine Entdeckung.
Es ist die Geschichte von Annette und ihrem Sohn Éric, die gemeinsam mit der Großmutter in einer tristen Kleinstadt im kühlen Norden Frankreichs leben. Und es ist die Geschichte von Paul, der mit seiner Schwester Nicole den Hof seiner beiden über achtzigjährigen Onkel führt, im abgelegenen Ort Fridières irgendwo in der Auvergne.
Annette ist 37, Paul 46, das Leben hat es den beiden bisher nicht leicht gemacht, und doch hält jeder für sich an der stillen Hoffnung fest, dass es da noch etwas anderes geben könnte als den bekannten Trott, das begrenzte eigene kleine Leben. Paul will sich mit den üblichen Gegebenheiten nicht zufrieden geben und widersetzt sich der abgründigen Einsamkeit, die an den Bewohnern dieser Gegend zehrt. Er gibt eine Annonce auf – auf die Annette zufällig stößt, heimlich aus einer Zeitschrift reißt und mit nachhause nimmt. An einem grauen Novembertag kommt es tatsächlich zu einem ersten scheuen Treffen an einem Bahnhof, auf halber Strecke zwischen dem Norden und der Auvergne. Paul weiß, dass er seine vollständig auf Arbeit ausgerichteten Lebensumstände nicht wirklich in Worte fassen kann, und versucht es trotzdem. Annette schweigt, nimmt auf, so viel sie kann, von diesem Mann, seinen Worten, den lebhaften Gesten seiner für einen Bauern sehr gepflegten Hände, die ihr danach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Nur ein weiteres Treffen wird es noch geben, bevor Paul in den Norden fährt, um Annettes und Érics Habseligkeiten einzuladen und in die Auvergne zu bringen, wo die drei fortan als Familie zu leben versuchen.
Aber die Fremden aus dem Norden, Mutter und Sohn, deren Umzug auf den Hof Paul kompromisslos durchgesetzt hat, sind in Fridières nicht willkommen. Nicole und die beiden Onkel, die ihr Leben als Junggesellen verbracht und wenig Verständnis für Pauls Entscheidung für ein anderes Leben haben, werden es den Neuen nicht leicht machen. Annette macht sich unsichtbar, passt sich bestmöglich an, macht sich nützlich, wo man sie lässt. Éric ist ohnehin ein stiller Junge, der sich direkt bei der Ankunft mit der eigentlich recht prätentiösen Hündin des Hofes anfreundet, die ihm nicht mehr von der Seite weichen wird. Es sind die kleinen Momente, die die Autorin aus der erdrückenden Sprachlosigkeit zwischen den Protagonisten herausleuchten lässt. Rituale der Freundschaft zwischen Éric und der Hündin Lola, Momente einer ungekannten Innigkeit, die Paul und Annette staunend zwischen sich wachsen sehen, und Augenblicke der Hoffnung neben aller zähen Anpassung, den feindlichen Kommentaren, der schweren Arbeit.
Marie-Hélène Lafon verwendet eine berückend klare, ruhig dahinfließende Sprache, die das Dasein der Menschen in Fridières auf eine Art und Weise beschreibt, die allem Zeitlosigkeit verleiht. Die Figuren werden in diesen Beschreibungen klar als Individuen sichtbar, stehen jedoch gleichermaßen stellvertretend für das karge und eintönige Leben in diesen dörflichen Gemeinschaften, in denen es oft darum geht, trotz Geldnöten, Familienzwisten und Hoffnungslosigkeit zu überleben.
Neben dem Prix Goncourt erhielt die 1962 geborene französische Autorin diverse andere Preise für ihr Werk und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Die Annonce erschien bereits 2009 im französischen Original, wurde von ARTE verfilmt und ist der erste ins Deutsche übersetzte Roman Lafons, aber hoffentlich nicht der letzte.
Larissa Siebicke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt