Zum Buch:
Manu Larcenet ist im Comicland Frankreich ein Star. Seine düstere Trilogie Blast hat ihm auch hier bei uns Bewunderung eingebracht. Die autobiografische Serie Mein alltäglicher Kampf erzählt in ganz anderem Ton und ganz anderer Farbigkeit vom Kampf des Künstlers mit seinen Geschichten und seinem Leben. Die neue Graphic Novel von Larcenet schlägt erneut eine andere Richtung ein.
Mit Brodecks Bericht legt Larcenet den bekannten gleichnamigen Roman von Philippe Claudel als Comic vor. In Claudels Roman von 2007 wird der Schreiber Brodeck vom Dorfvorsteher aufgefordert, einen Bericht über den Tod „des Anderen“ zu verfassen. „Einen Bericht, keinen Roman“, wie ihm ausdrücklich aufgetragen wird. Claudel siedelt dieses Dorf in einem abgelegenen Landstrich in einer fiktiven Gegend an, der dort gesprochene Dialekt weckt durchaus Assoziationen an das Elsass oder an Südtirol. Brodeck kann nicht berichten, ohne seine eigene Geschichte, zu erzählen. Er schildert die Verschleppung in ein Konzentrationslager, nachdem er im Dorf an die Besatzer verraten wurde. Seine Frau verliert über diesem Ereignis ihre Sprache und er den Glauben an das Humane. Einzig in seiner Tochter kann er noch Hoffnung entdecken – und in der Person des „Anderen“, der eines Tages im Dorf auftaucht.
Brodecks Bericht zeigt Larcenet als überragenden Zeichner. Sein Spektrum reicht von naturalistischen Tierzeichnungen bis zu der schwarzen, schattenhaften und doch schockierend präzisen Schilderung des Grauens im Gefangenenlager. Die Täter erinnern fast an Art Spiegelmans Katzen in Maus, die Dorfbewohner, kaum jemals lächelnd, wirken undurchdringlich, fast verwachsen mit ihrer Kleidung. Nur Brodecks Tochter wirkt frei, bewegt sich leicht und optimistisch. Die Buchgestaltung gibt den Bildern die Fläche, die sie brauchen, und dem strengen, knappen Text einen Resonanzraum, in den man eintritt wie in eine unheimliche Welt.
Literaturadaptionen müssen sich immer fragen lassen, ob die Übertragung in eine andere Kunstform etwas Besonderes, etwas Eigenes zum Verständnis des Werkes beiträgt. Larcenets Arbeit besitzt bei ihrer Anverwandlung eine vollkommene Eigenständigkeit – und Berechtigung. Die Zeichnungen sind fantastisch. Der Roman erfährt eine Rhythmisierung, die den Charakteren, der Natur, der Gewalt eine eigene Dringlichkeit verleiht. Lange Passagen sind ohne Text, sie bestimmen den Ton, die Stimmung.
„Ich werde ‘Ich‘ sagen, wie in meinen Berichten, weil ich anders nicht zu erzählen weiß“, sagt Brodeck, als er den Auftrag der Dorfbewohner annimmt. In diesem Satz verdichtet sich die Konstruktion dieses grafischen Romanes. Die Geschichte des Dorfes ist Brodecks Geschichte, er ist ihr Opfer, er hat erlitten, was er beschreibt, und stellt sich doch nicht außerhalb der Schuld.
Jakob Hoffmann, Frankfurt am Main