Zum Buch:
Lennard Salm ist Künstler, sogar ein recht bekannter. Er hat sich einen Namen mit Installationen gemacht, besitzt ein Atelier in New York und hat einen wohlwollenden Mäzen gefunden. Der stellt ihm seine Wohnung in einer Ferienanlage am Mittelmeer zur Verfügung, damit er sein neuestes Projekt in Angriff nehmen kann – die Hinterlassenschaften der Flüchtlinge zu sammeln und auszustellen, die im Mittelmeer ihr Leben gelassen haben. Mitten in der Arbeit erfährt er vom Tod seiner Schwester und muss zur Beerdigung nach Hamburg. Neben der Bestürzung über die Todesnachricht ist er durchaus froh, aus der Feriensiedlung, die immer mehr zur Festung wird, wegzukommen. Andererseits weiß er, dass er in Hamburg mit der ganzen Familie konfrontiert sein wird: mit dem gebrechlichen Vater, der strengen Mutter, die seit langem in Florida lebt, dem konservativen Bruder Paul und der chaotischen kleinen Schwester Bille, der einzigen, auf die er sich wirklich freut – und ihm graut davor. Zu Recht, wie sich herausstellt. Denn die Familie erinnert ihn dieses Mal an seine Pflichten: er muss sich um den Vater kümmern, eventuell das Elternhaus verkaufen. Einerseits ist ihm ein Aufenthalt in Hamburg ganz recht, denn er steckt in einer erheblichen Schaffenskrise. Andererseits ermüden und überfordern ihn die Zumutungen, die die Versorgung des Vaters und der ständige Kontakt zu Bille für ihn bedeuten. Für sie ist er der große Bruder, und sie erhofft sich von ihm Unterstützung bei ihren vagen Theaterplänen und unpassenden Liebhabern.
Mit großer Ruhe lässt uns Rolf Lappert vor der Folie der verschneiten Stadtlandschaft Hamburgs an der Entwicklung seines Protagonisten vom egozentrischen, verwöhnten Künstler und ewigem Kind zu einem Erwachsenen teilnehmen, der seine Familiengeschichte mit all ihren zerbrochenen Träumen und schmerzenden Tragödien endlich annehmen kann – und am Ende erkennt, dass manche Kindheitsträume auch in einer Familie, die ihre Unerfüllbarkeit festgeschrieben hat, doch erfüllt werden können, und das sogar von der richtigen Person.
Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main