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Autor
Zitzmann, Yvonne

Tage des Vergessens

Untertitel
Roman
Beschreibung

Sind wir die Summe unserer Lebenserfahrungen und Erinnerungen? Was wären wir ohne sie? Wäre ein Medikament wünschenswert, das die Möglichkeit eröffnet, eine oder mehrere Erinnerungen auszulöschen? Dieser Idee geht Yvonne Zitzmann in ihrem Debütroman Tage des Vergessens auf fesselnde Weise nach und dass diese fiktive Handlung sich vor der Tatsache abspielt, dass westliche Pharmaunternehmen in der DDR über Jahre hinweg gegen dringend benötigte Devisen Experimente durchführen ließen, die fern jeglicher ethischer Grundlagen waren, macht den Roman umso spannender.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Muery Salzmann Verlag, 2021
Format
Gebunden
Seiten
288 Seiten
ISBN/EAN
978-3-99014-214-1
Preis
24,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Yvonne Zitzmann, geboren 1976, lebt in Rangsdorf bei Berlin. Seit 2010 ist sie freie Autorin und Übersetzerin aus dem Russischen. Sie hat Lyrik, Kurzprosa, Hörspiele für Kinder und Erwachsene sowie Literaturübersetzungen in Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht. Zu ih- ren Auszeichnungen gehören u. a. das Arbeitsstipendium vom Land Brandenburg (2010), der Ehm-Welk-Literaturpreis (2012) und der Kunst-Förderpreis des Landes Brandenburg (2014). 2011 war sie Finalistin beim Literaturpreis Prenzlauer Berg und 2013/14 Stipendiatin der Bayerischen Akademie des Schreibens am Literaturhaus München.

Zum Buch:

Sind wir die Summe unserer Lebenserfahrungen und Erinnerungen? Was wären wir ohne sie? Wäre ein Medikament wünschenswert, das die Möglichkeit eröffnet, eine oder mehrere Erinnerungen auszulöschen? Dieser Idee geht Yvonne Zitzmann in ihrem Debütroman Tage des Vergessens auf fesselnde Weise nach.

Der Wissenschaftler Damian erhält von seinem Vorgesetzten Professor Marx das Angebot, eine geheime (und noch nicht genehmigte) Medikamentenstudie zu leiten. Verknüpft mit dem für einen Traumatherapeuten ohnehin interessanten Thema ist die Aussicht auf wissenschaftliche Reputation und eine nicht unbeträchtliche Bezahlung. Marians Frau Eva, selbst scheinbar eher lebenslustig und zukunftsorientiert, drängt ihren zögernden Ehemann, das lukrative Angebot anzunehmen, und verfolgt den Studienverlauf mit großem Interesse.

Der Versuchsaufbau ist denkbar klar strukturiert: sieben sorgfältig ausgewählte Freiwillige sprechen ihre jeweiligen Erlebnisse auf Band. Mal handelt es sich um ein einzelnes traumatisches Erlebnis, mal geht es um die Verwurzelung in einer Zeit, die es so nicht mehr gibt. Diese Aufnahme hören sie dann jeweils vor Einnahme des Medikaments an sechs aufeinanderfolgenden Tagen wieder an. Die Herausforderung scheint zumindest aus Damians Sicht vor allem darin zu liegen, einen bestimmten Erinnerungsabschnitt auszulöschen. Dass manche Erlebnisse jedoch einen Menschen so umfassend prägen können, dass nach dem Vergessen fast nichts mehr von seiner Persönlichkeit übrig ist, wird erst dann offensichtlich, als es schon zu spät ist.

Die jeweiligen Geschichten der Versuchspersonen verdeutlichen die Zwiespältigkeit der Verlockung des Vergessens. Bei Maleks Erinnerung an den traumatischen Verlust von Frau und Kindern in seinem kriegsgeschüttelten Heimatland Syrien scheint die Antwort noch eher eindeutig zu sein, genauso wie bei Ania, der jungen Frau, die seit ihrer Vergewaltigung durch einen Musiklehrer an ihrer Hochschule ihrem Leben nicht mehr nachgehen kann, keine Musik mehr macht und Selbstverletzungen als Ausdrucksmittel ihres Schmerzes gefunden hat. Es war doch ein so kurzer Moment, der ein normales Leben brutal unterbrach und ein einfaches Weiterleben unmöglich machte. Wäre es nicht eindeutig das Beste, diese zerstörerische halbe Stunde auszulöschen?

Aber so einfach ist es eben nicht, weder bei Malek und Ania noch bei Joachim, der seine Heimat, die DDR, über alles liebte und mit ihrem Verlust, dem Verlust seines Wertesystems und dem Leben in einem vereinten Deutschland nicht zurechtkommt. Einfach ist es auch nicht für Ulla, der alternden Schlagersängerin, deren Manager ihr dringend rät, die Herz-Schmerz-Inhalte ihrer alten Hits gegen vermeintlich zeitgemäßere Themen einzutauschen. Muss sie einfach nur ihre alten Lieder vergessen oder nicht doch ihr ganzes Sein, um andere Lieder schreiben zu können? Und wie viel ist dann wohl noch von der Person übrig, die Hallen füllte und Fans mit gefühlvollen Liedern begeisterte?

Erinnern vs. vergessen ist weit über das (Er-) Leben jedes Einzelnen hinaus ein hochpolitisches Thema im Umgang mit Geschichte. Yvonne Zitzmann entwirft mit großer Vorstellungskraft und viel Einfühlungsvermögen ein Szenario, das ein gezieltes Auslöschen von Erinnerung für manchen verlockend machen könnte. Dass diese fiktive Handlung sich vor der Tatsache abspielt, dass westliche Pharmaunternehmen in der DDR über Jahre hinweg gegen dringend benötigte Devisen Experimente durchführen ließen, die fern jeglicher ethischer Grundlagen waren, macht den Roman umso spannender.

Larissa Siebicke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt