Zum Buch:
Dieses Tableau der Deutschen Lyrik 2008 -2018 ist die sorgfältig zusammengetragene literarische Weisheit der Vielen aus der letzten Poesie-Dekade, die – in Gedichten von 180 Dichter*innen präsentiert wird. Und doch klingt die Behauptung, dies sei “eine ebenso vorläufige wie irrtumsanfällige Bestandsaufnahme der lyrischen Schreibweisen im noch jungen 21. Jahrhundert”, ein wenig nach Understatement.
Sind die Herausgeber Michael Braun und Hans Thill mit den Jahrzehnten und nach ihren drei Vorgänger-Anthologien Punktzeit (1987), Das verlorene Alphabet (1998), Lied aus reinem Nichts (2010) sowie nach der schönen Perlenfischerei mit den – leider nicht fortgeführten – Lyrik-Taschenkalendern in ihrem Urteil noch skeptischer und selbstkritischer geworden? Michael Braun meint: “In den Lyrik-Debatten seit Beginn des 21. Jahrhunderts sind einige liebgewonnene Gewissheiten und Übereinkünfte aufgekündigt worden. Es gibt keine verlässlichen Ordnungssysteme mehr …”
Ich könnte ein Berserker sein, so lautet der Titel des Eingangskapitels, und die gewählte Gedichtfolge bleibt haften als starker Auftakt und suggestiver Taktgeber für die weitere Lektüre, einer Lektüre, die unweigerlich hinführt ins Staunen über die “korrespondierenden Motive und intertextuellen Referenzen, die sie mit anderen Gedichten verbinden.”
Beim Lesen wächst die Versuchung, Verse unterschiedlichster Gedichte miteinander zu verfugen, immer wieder zu einem eigenen Cento (strenge Zitatmontage) des Gelesenen anzusetzen. Man gerät in einen Sog, weiter und weiterlesen zu wollen:
So eigen die individuellen “lyrischen Schreibweisen” immer wieder zu tastendem Lesen führen, so präzise sind viele Gedichte – oft auf den (wunden) Punkt. Sie öffnen zuvor unvermutete Gedankenräume und halten am Ende wesentliche Fragen offen.
Mit Blick auf uns und die vergangene Dekade und die Lage der Welt / jetzt:
Eine offene poetische Bestandsaufnahme – Wiedervorlage inbegriffen.
Karl Piberhofer, Berlin