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Als erstes werden ihnen natürlich die Stimmbänder entfernt – denn das Schreien ist einfach nicht auszuhalten. Nachdem man sie zerlegt hat, füllen sie, in handlichen Portionen abgepackt, die Kühlregale der Discounter, liegen fein säuberlich und zu Leckerbissen arrangiert nebeneinander in den Auslagen der Metzger oder gehen kiloweise an die Fastfood-Ketten hinaus, wo sie zu Burgern oder Hot Dogs verarbeitet werden.
Die Rede ist hier nicht von Schweinen, Rindern oder Hühnern, denn die gibt es schon so lange nicht mehr, dass die Jüngsten sich kaum noch an ihren Anblick erinnern können. Nein, die Rede ist tatsächlich von Menschen, extra gezüchteten Menschen versteht sich, die in Massen gehalten und mit Abfällen oder chemischen Zusätzen auf riesigen Farmen solange gemästet werden, bis sie rund und fett geworden sind.
Die Tiere starben an einem Virus, den man irgendwann einfach nicht mehr in den Griff bekam. Bald musste für Ersatz gesorgt werden, und die Ersten verfielen darauf, Migranten zu jagen, zu töten und zu essen. Menschen, die sowieso keiner vermissen würde. Zunächst verschwanden nur wenige. Später immer mehr, sodass es sich einfach nicht mehr verheimlichen ließ. Es dauerte dann eine ganze Weile, bis die Praxis des legalisierten Kannibalismus bei den Bürgern Zustimmung fand, doch der Hunger und die Aussicht auf Sättigung ließen schließlich alle moralischen Bedenken in den Schatten treten, und die ersten staatlichen Zuchtfarmen wurden errichtet.
Heute ist das Züchten, das Schlachten, Verarbeiten und Verspeisen von Menschenfleisch so normal wie früher der Umgang mit Schweinen und Rindern. Kaum jemand stört sich noch daran. Im Gegenteil, Experten haben letztens versichert, die Emissionswerte von Treibhausgasen hätten sich um ein Vielfaches reduziert – und das sei doch eine gute Nachricht.
Die Welt, so, wie sie sich nun mal entwickelt hat, wäre im Grunde also völlig in Ordnung. Nur was tut man, wenn man sich als Züchter in sein Produkt verliebt hat?
Die argentinische Autorin Agustina Bazterrica hat mit ihrem schonungslosen und von einer radikal-trockenen, eingehenden Sprache geprägten Roman Wie die Schweine den Nerv der Zeit getroffen. Das Buch liest sich schnell, gut und ist voller moralischer Anspielungen auf unsere heutige Zeit, und das Seltsame dabei ist, dass – sobald man sich erst einmal auf das Umkehrspiel eingelassen hat – man sich nur allzu leicht mit der Vorstellung auseinanderzusetzten beginnt, was wäre, wenn die Fiktion von der Realität überholt werden würde.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln