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Autor
Nochlin, Linda

Misère

Untertitel
Darstellungen von Armut im 19. Jahrhundert. Aus dem Englischen von Birgit Lamerz-Beckschäfer
Beschreibung

Das posthum erschienene Buch der US-amerikanischen Kunsthistorikerin Linda Nochlin ist eine profunde Abhandlung über die Darstellung von Elend und Armut in der Bildsprache der Malerei des 19. Jahrhunderts. Fesselnd, aufschluss- und kenntnisreich, aktueller denn je.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Piet Meyer Verlag, 2020
Format
Kartoniert
Seiten
240 Seiten mit 73 Farbtafeln Seiten
ISBN/EAN
978-3-905799-62-0
Preis
28,40 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Die amerikanische Kunsthistorikerin Linda Nochlin (1931-2017) gilt als Begründerin einer feministischen Kunstgeschichtsschreibung. Sie lehrte u. a. in Yale und New York und verfasste zahlreiche wichtige Studien (die zum größten Teil noch nicht auf Deutsch übersetzt vorliegen). Diese sind vor allem dem Beitrag von Künstlerinnen zur westlichen Kunstgeschichte sowie der realistischen Tradition des 19. Jahrhunderts (allen voran der Courbets) gewidmet. Eine umfangreiche Anthologie ihrer kunstfeministischen Schriften wird im Herbst 2022 auf Deutsch in diesem Verlag erscheinen.

Zum Buch:

Barfuß, der Kälte wegen die Arme vor der Brust verschränkt, die Augen tief versunken in den viel zu blassen Gesichtern, stehen die zerlumpten Frauen, Männer und Kinder vor einem Londoner Obdachlosenasyl und warten auf Einlass.

Kriegsversehrte Männer in abgerissener Kleidung, viele von ihnen auf Krücken gestützt, versammeln sich im Morgennebel vor einer Brotausgabe im Paris des späten 19. Jahrhunderts.

Ein verwahrlostes Straßenkind kauert auf dem Boden und schläft. Auf den Knien eine rasch zusammengezimmerte Lade, darin Veilchensträuße zum Verkauf.

Eine junge Kuhhirtin senkt zum Dank den Kopf, während sie im Beisein dreier für den Sonntagsspaziergang herausgeputzter Damen ein Almosen entgegennimmt.

Es sind Malerinnen und Maler wie Käthe Kollwitz, Gustave Coubert, Francisco de Goya oder Fernand Pelez, die in ihren Werken den Mut bewiesen haben, das zu zeigen, was auch im 19. Jahrhundert niemand sehen wollte: Das Elend. Die Armut. Und sie taten dies, obgleich sie wussten, kaum einer würde sich dazu herablassen, einen in Öl oder Gouache verewigten Bettler zu erwerben, der mit ausgestreckter Hand im Rinnstein hockt.

In ihrem posthum veröffentlichten Buch über die Darstellung der Armut im 19. Jahrhundert nimmt sich die US-amerikanische Kunsthistorikerin Linda Nochlin eines Themas an, welches bis in die heutige Zeit kaum an Brisanz verloren hat. Anhand zahlreicher Zeichnungen, Stiche und Gemälde renommierter Künstlerinnen und Künstler geht sie der Frage nach, was einem interessierten Publikum zu jener Zeit an Hyperrealismus zuzumuten war. Wo lagen die Grenzen des Zeigbaren? Und wer bestimmte sie? Welche Auswirkungen hatte das Gesehene auf die oder den Betrachter? Fragen, auf die der Leser in Linda Nochlins beeindruckenden Texten aufschlussreiche Antworten erhält. Sie zeigt, dass sich das Elend – wie es in der Einleitung heißt – von der Bedürftigkeit früherer Epochen unterscheidet, dass eine neue Armut und ein neuer Reichtum immer Hand in Hand gehen. Eine hochinteressante Lektüre nicht nur für Kunstinteressierte.

Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln