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Berlin, 9. November 2022. Krieg in der Ukraine, Rechtsradikalismus, Me-too-Debatten, Flüchtlingselend – die Welt scheint aus den Fugen. Einerseits. Andererseits: Berlin, 9. November 2022. Der weltberühmte Galerist Konrad Raspe bereitet die Vernissage eines neu entdeckten Künstlers vor: Fabian Kolb, Sohn der letzten Krefelder Krawatten-Dynastie, steht mit seiner Installation „Windhauch. Alles ist Windhauch“ vor seinem internationalen Durchbruch. Eine Ausstellung in dieser Galerie ist eine seltene Chance in der Kunstwelt, über die Fabian sich freuen sollte und zunächst auch gefreut hat, aber jetzt, nachdem seine riesigen, brutalen Lederskulpturen aufgebaut sind, wird ihm sein Werk fremd, zu viele andere waren an der Ausführung beteiligt, haben die Intention verändert, verschoben. Und in einem anderen Teil der Stadt läuft dem Abgeordneten Hermann Carius, Fabians Onkel, ein kleiner, verzweifelt schreiender Kater zu, der sich nicht mehr abschütteln lässt …
Diese Protagonisten, ihre Frauen und Kinder, sind die wichtigsten Steinchen in dem Mosaik aus Familientraditionen, Ehedramen, Generationenkämpfen, Sprachlosigkeit, rechter und linker Politik, dem Hype der Kunstszene und der hilflosen Nächstenliebe, das Christoph Peters in seinem Schlüsselroman, dem letzten Teil seiner Koeppen-Trilogie, zusammensetzt.
Dabei widmet Peters diesmal dem Denken und der Geschichtsauffassung des rechtslastigen Hermann Carius, in dem man unschwer Alexander Gauland erkennen kann, einen großen Teil seiner Montage, genau wie seinem Sohn Martin, der sich als katholischer Armenpriester so engagiert wie hilflos auf die andere Seite geschlagen hat. Wo Carius „die europäisch-abendländische Kultur vor der Auslöschung durch orientalische Wirtschaftsmigranten, amerikanischen Vulgärkapitalismus, chinesische Totalüberwachung“ retten will, ringt Martin mit dem Verlust des christlichen Elements in dieser Kultur und findet menschlichen Trost häufiger bei dem befreundeten Imam als bei seinen Vorgesetzten. Und Fabian muss feststellen, dass die Kunst, die er machen will, im Kunstbetrieb nur noch als Ware Platz hat, als Dekoration und als Mittel, Reichtum und Einfluss zu demonstrieren, aber keinesfalls Sinn stiften kann – nicht einmal für ihn selbst.
Das Fazit ist also bitter, aber die Lektüre lohnt! Innerstädtischer Tod besticht durch die verschiedenen Sprachebenen und die bitterbösen, tödlich witzigen Parodien des so aufgeblasenen wie hohlen Polit- und Kunstsprechs. Und wer mehr über toxische Männlichkeit erfahren will, kommt hier ebenfalls auf seine Kosten – der ständig schreiende Kater des Hermann Carius verweist aufs köstlichste auf das Hähnchengehabe der hier versammelten Männergesellschaft. Und sehr deutlich wird auch, warum die dazugehörigen Frauen dem außer Traurigkeit, Alkohol und Anpassung wenig bis nichts entgegenzusetzen haben.
Kurzum: ein brillant montierter Schlüsselroman über Hauptstadt und Provinz mit Tiefe, bösem Witz – und Ratlosigkeit.
Irmgard Hölscher, Frankfurt a.M.