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Im Gulbrandsdal, einem weit abgelegenen Tal Norwegens, haben sie einst gelebt: Halfrid und Gunhild Hakne, zwei Mädchen in einer Haut, an der Hüfte zusammengewachsen. Ihre gewebten Bilder waren Kunstwerke von großer Schönheit, und zu dem Begräbnis seiner Töchter hat Eirik Hakne der ortsansässigen Stabkirche zwei Glocken gestiftet. Das ganze Tafelsilber soll der Hofherr in den Schmelztiegel der Glocken geworfen haben. Deren Klang geht weit übers Land, und es geht die Sage, dass ihr Geläut die Menschen des Breia-Tals schon vor vielen Gefahren gewarnt hat, ohne dass ein Glöckner dafür Hand anlegen musste.
Blutangen am Neujahrstag 1880: Die Schwesterglocken rufen, und alle kommen sie zur Messe. Von den umliegenden Höfen strömen die großen Familien mit Knechten und Mägden in die mehr als 700 Jahre alte Stabkirche. Unter ihnen die 20-jährige Astrid Hekne. Sie hat vor allem einen Grund in die kalte Kirche zu gehen: Kai Schweigaard, der neue Pfarrer, wird die Predigt halten. Ein wenig scheint er ihre Nähe genauso zu suchen wie sie die seine. Aber er ist verlobt. Das Gemeindeleben will er von Grund auf erneuern, eine größere Kirche an der Stelle der alten, zu kleinen und baufälligen bauen lassen. Von der Amtskirche hat er keinerlei Unterstützung zu erwarten, also hat er den Finanzierungsplan des Kirchenbaus selbst ausgeheckt. Die alte Stabkirche soll noch im gleichen Jahr unter Aufsicht eines Architekturstudenten aus Dresden abgebaut und nach Deutschland transportiert werden. Die von den Deutschen gezahlte Entlohnung für die alte Kirche wird den Bau der neuen ermöglichen.
Als der Kunst- und Architekturstudent Gerhard Schönauer aus Dresden im Frühjahr eintrifft, sieht die schlaue und neugierige Astrid in dem weitgereisten Studenten ihre Chance, das Tal zu verlassen und in die Welt hinauszuziehen. Die beiden werden im Geheimen ein Paar. Doch bei aller Sehnsucht nach einem anderen Leben ist Astrid auch der Tradition ihrer Familie verbunden: Sie will um jeden Preis verhindern, dass die Glocken ihrer Vorfahren Blutangen verlassen. Deshalb nimmt sie dem Pfarrer wie auch dem Geliebten ein Versprechen ab.
Lars Mytting hat eine besondere Art zu erzählen: Intensiv und unmittelbar taucht man in Landschaft und Zeit seiner Romane ein, die Figuren seiner Romane aber umgibt er mit einer Aura der Unnahbarkeit, die das vollkommene Identifizieren mit ihnen unmöglich macht, auch wenn man ihnen sehr nahe kommt. Das erzeugt eine wunderbare Spannung, die seine Geschichten unwiderstehlich macht.
Susanne Rikl, München