Zum Buch:
“Das Unvermeidliche, im Inneren verborgen und irgendwo draußen auf der Lauer.”
14. Juni, irgendwann in der unmittelbaren Zukunft. Die Südküste Englands ist überschwemmt. Ein Hochwasser von nie dagewesenem Ausmaß hat London erreicht, es regnet Wochen und Monate ohne Unterlass, und die Wetterberichte lesen sich wie endlose Listen von Kindernamen. Eine Frau ist in der 38. Woche schwanger. Sie fürchtet um das Leben ihres Kindes und bittet ihren Mann, mit ihr fortzugehen, wenn es soweit ist.
Sie fliehen in die Berge. Zu den Schwiegereltern, wo sie erst einmal in einem Geräteschuppen Unterschlupf finden können. Die Einkaufsfahrten in die nächstgelegene Stadt dauern meist mehrere Stunden und werden zunehmend gefährlicher. Er herrschen Zustände wie im Krieg; wie man hört, soll es bereits Lager geben, eingezäunte Baracken mit Feldbetten, Rangelei, Zank und Gemetzel. Die Verpflegung dort sei schwierig. Es heißt, sie würden Porridge anstelle von Milch mit Wasser kochen.
Langsam gehen auch bei ihnen die Vorräte zur Neige. “Die Schränke zeigen sich täglich deutlicher: die hölzernen Rückwände, die sich grau färbenden Ecken, die man früher nie sah.”
Noch vor der Ernte kommt das Wasser, und sie müssen erneut fliehen. An den Straßenrändern Menschenschlangen, die sich im strömenden Regen in ein und dieselbe Richtung bewegen: nach Norden. Immer weiter nach Norden. Eines Morgens ist ihr Mann dann plötzlich verschwunden und sie macht sich allein mit ihrem Kind auf den Weg in die Ungewissheit einer nicht zu begreifenden Zukunft.
Die Lyrikerin und Autorin Megan Hunter hat ein ungewöhnliches Debüt vorgelegt: einen Roman der sich beinahe wie ein Endzeitfilm liest. Und auch wenn sie innerhalb des Textes wiederholt kleine, immer kursiv gehaltene Passagen einstreut, die sich beinahe schon wie Zitate aus der Genesis lesen, so lässt sich ihr Roman in seiner Endzeitstimmung dennoch nicht allein durch ein “Davor” und ein “Danach” charakterisieren und geht über das Beklemmende, das Unsagbare des Untergangsszenarios weit hinaus. Megan Hunter ist ein Roman gelungen, der weniger düster als vielmehr voll poetischer Wucht – ja beinahe Wut – daherkommt, und wenn schon Vergleiche herhalten sollen, dann würde mir weniger Cormac McCarthy (wie es im Klappentext heißt) in den Sinn kommen als vielmehr Kate Tempest.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln